FASZINATION UND ANGST

■ „Nitzer Ebb“ aus London am Mittwoch im Loft

Auf der Bühne vor lieblos abgebröckelter Farbe haben sich drei junge Burschen in beängstigender Montur breitgemacht. Bis über die Ohren ist das Haar abgeschoren, nur auf dem Oberkopf wuchern vier Zentimeter. Ärmellose T-Shirts legen ausgeprägte Schultern und Bizeps frei, und konforme knielange Hosen über behaarten Beinen mit Doc-Martens -Halbschuhen als Abschluß erinnern an das Outfit einer notorischen Jugendorganisation in Deutschland anno '33. Starr ist der Blick.

Aber Nitzer Ebb sind englischer Herkunft. Sie operieren an elektronischen Sequenzern, Vocodern und Sample-Maschinen, haben den gesamten Rhythmusteppich in einem Gerät festgehalten, das auf Knopfdruck den richtigen Beat ausspuckt. Kälte liegt in der nikotinisierten Luft. Das Mißtrauen der Masse zur Band und umgekehrt ist spürbar. Mit der suggestiven Eindringlichkeit seiner dunklen Stimme beschwört Kommandant Douglas McCarthy die Zuhörer. Seine zwei Offiziere knüppeln mit Wucht den Takt auf Trommeln und E-Drums und bleiben selbst regungslos. Die Beats traktieren gnadenlos, monoton und berechnend die Ohren. Trotzdem zwingt ein melodisches Element innerhalb der stählernen Klangkomposition in die Knie.

Das Publikum reagiert zurückhaltend auf die Stücke der neuen LP „Belief“, erst als Hearts and Minds und ältere Tanzbodenbrummer - allen voran Let your body learn durch den Raum peitschen, ist das Glas gebrochen. Die Menge muß sich wie unter Zwang bewegen, wippt nervös, als wäre ein Dämon in die Körper eingedrungen, und der Organismus versucht durch wildes Schütteln, sich dagegen zu wehren.

McCarthy, der das einzig Menschliche - seine Stimme liefert, wird selbst zum Opfer der abgehackten (Ton-)Hiebe. Wie unter mehreren Schlägen getroffen, zuckt sein Leib stakkatisch hin und her. Als Gefangener der Technik verknotet er das Mikrokabel um seinen Körper. Dunkle Striemen bleiben auf der Haut zurück. Niemand kommt zur Ruhe, ein Stück folgt dem nächsten, und wie Roboter stehen die Trommler stramm, hämmern wie hypnotisiert einen Takt nach dem anderen. Schweiß rinnt an deren Schläfen herab, Adern treten unter der Haut hervor. Der Mob ist in Ekstase, schreit nach mehr. Aus dieser willenlosen Selbstaufgabe profitieren die Spieler. Das fanatische Fleisch liefert die Kraft, erbarmungslos auf die Drums einzuprügeln.

Man hat nicht mehr das Gefühl, auf einem Konzert zu sein. Diese Musik verändert den Geist - hin zur euphorischen Hingabe. Ausländische Computer-Kommandos (man denke da z.B. auch an Laibach oder Front 242) machen sich den faszinierenden Einfluß der Angst zunutze, verbinden die magische Kraft des Dancefloor-Voodoos mit Gestik und Kleidung deutscher Vergangenheit und beweisen, daß dieser Reiz auf anderer Ebene wiederbelebbar ist. Sehr obskur.

Connie Kolb