DIE HÖLLE, DAS IST DAS THEATER

■ Sartres „Die geschlossene Gesellschaft“ spielt nur im „Atelier für internationale Kunst“

Für Estelle geht in Sartres Stück ein heimlicher Wunsch in Erfüllung. Aus dem Jenseits der literarischen Hölle, in der sie sich in geschlossener Gesellschaft befindet, kann sie ihrer eigenen Beerdigung beobachten. Und da zeigt sich der wahre Charakter der Mitmenschen. Da quetscht sich Estelles Schwester noch ein paar Krokodilstränen heraus, und die beste Freundin verzichtet lieber ganz auf feuchte Anteilnahme, die Maskara-Wimperntusche könnte verlaufen.

Solch konkrete Momente sind selten bei Sartre. Meist müssen sich die drei Zusammengeschlossenen in ihrer Hölle, die sie sich und uns - weit über die künstlerische Intention hinaus

-bereiten, mit abstrakten Themen und Konstruktionen herummühen. Da schlägt der Existentialismus zu und dreht die letzten 40 Jahre zurück. Weder Sartre noch die Künstlergruppe Granat Theater mögen einen neuen Subjektbegriff zur Kenntnis nehmen. Nein, das Individuum ist immer noch ganz frei zur Entscheidung und nur auf sich gestellt. Die ebenso hehre wie - von Sartre selbst eingestandene - naive Grundsatzerklärung des Existentialismus: „Der Mensch ist, wozu er sich macht“ ist eher geboren aus der Erfahrung der Resistance. Da wäre das Gebot der Stunde, eine Entscheidung zu fällen, für oder gegen die deutsche Besatzung zu sein, das Risiko des aktiven Widerstandes auf sich zu nehmen.

Auf der Bühne verhindert dieses dogmatische Entweder-Oder komplexe dichte Spielsituationen, magische Momente, deren Ausgang nicht schon immer vorauszusehen wäre.

Gemäß dem Slogan „Die Hölle, das sind die anderen“ hat der Teufel/ der Kellner/ oder Sartre zwei Frauen und einen Mann in einem schäbigen Hotelzimmer zusammengesperrt. Zu dritt spielt man nicht Skat, sondern das Macht- und Psychospiel „Wie binde ich den anderen an mich und beherrsche ihn“. Das vorhersehbare Resultat: atmosphärische Spannungen, Eifersucht in der offenen Dreierbeziehung, aber ist das schon die Hölle?

Die intelligente und lesbische Ines (Dorothee Rogalla) versucht die kokette Estelle (Cay Helmich) zu verführen. Diese hantiert häufig mit dem Lippenstift und will, besonders wenn sie ihre schönen langen Beine zeigt, irgendeinen Mann verführen. Da es zur Zeit in der Hölle keine Auswahl gibt, muß Garcin den Angriff der weiblichen Waffen abwehren. Gunther Trzaska spielt den Journalisten und Freiheitskämpfer so schön hemdsärmelig und nach Zigarren stinkend, als sei er aus einem Streifen der schwarzen Serie entsprungen.

Nur wenn Sartre den hart geprüften Schauspielern noch das Schwergewicht aufbürdet, eine Liebesszene mit Erotik und Verführung zu spielen, dann macht sich unter den Zuschauern neben aufmunternden Anfeuerungsrufen nach Boxkampfart („Gibt's ihm!“ „Ja, Du schaffst es!“) zum Liebesclinch das Grundgefühl des Abends breit. Am falschen Platz zu sein, im Theater.

Susanne Raubold

Im Atelier für Internationale Kunst. Dahlmannstraße 11, 1/12, 20 Uhr.