LEBEN, KLAPPE - DIE FÜNFTE

■ Max Frischs „Biografie. Ein Spiel“ in der Vagantenbühne

Da hat einer nur noch wenige Monate zu leben. Magenkrebs. Seine Frau tritt an sein Bett, auch der Mann, mit dem sie ihn jahrelang betrogen hat. Der Verhaltensforscher Hannes Kürmann bereut seine Ehe. „Es hätte nicht sein müssen.“ Und weil wir im Theater sind, wo ja bekanntlich alles möglich ist, erhält er die Chance, fehlerträchtige Situationen noch einmal zu durchleben. Doch wie viele Versuche man ihm auch gibt, er schafft es lediglich, sich von Alkoholismus, Karrieresucht und Jähzorn zu befreien, nicht aber von seiner Frau. Im allerletzten Durchlauf ergreift diese schließlich die Initiative und verläßt ihn noch vor der ersten Nacht. Kürmann bleibt allein zurück und blickt ins Leere.

In „Biografie. Ein Spiel“ zeichnet Max Frisch eine Horrorvision des durchschnittlichen Wiederholungstäters, dem es nicht gelingt, „Freiheit von“ in „Freiheit zu“ umzuwandeln, und dem auf all seinen Probeleben immer wieder nur sein altbekanntes Ich entgegenblinzelt.

Genau hierin liegt für Frisch das utopische Moment: sich in der Wiederholung des Immergleichen zu begegnen und schließlich anzunehmen. In diesem Sinne wird der Autor auch in dem Programmfaltblatt der Vaganten zitiert, was aber keinesfalls darüber hinwegtäuscht, daß sie ihn nicht verstanden haben.

Viel zu glatt, viel zu schnell, viel zu oberflächlich vollziehen sich diese Lebensproben in der Inszenierung von Eugenia Naef, und was das Schlimmste ist, mit dem allergrößten Bemühen, das Publikum zu erheitern. Sicher, es liegt viel Komisches in dieser Tragödie, aber das ist noch lange kein Grund, gleich alle Zwischentöne und Entwicklungen plattzuwalzen. Die Entscheidung gegen die Phantasie wird bereits durch das realistische Bühnenbild von Arno Scholz deutlich. Dabei beginnt die Aufführung mit der Szene im Krankenzimmer durchaus verheißungsvoll.

Vor das sachlich-moderne Wohnzimmer ist da noch der gnädige weiße Vorhang gespannt, dahinter Kürmanns Frau, der Ex -Liebhaber, eine Krankenschwester und der Arzt. Davor Kürmann im Rollstuhl. Kühl, schnell und reduziert wird die Rahmenhandlung skizziert. Dann aber verwandeln sich Liebhaber und Schwester Agnes putzmunter in Assistent und Assistentin und der Arzt sich in einen erbarmungslos dynamischen Provinzregisseur. In Vertretermanier offerieren sie Herrn Kürmann und seiner Gattin, Frau Antoinette Stein, die Wiederholung und Verbesserung ihrer Lebensfehler. Matthias Gebhard, der alle Anlagen zeigt, Hannes Kürmann zurückgenommen und überzeugend den Weg zur Selbstbewußtwerdung beschreiten zu lassen, erhält einfach keine Chance. Michael Christian, mit lila Hemd, Goldkettchen und süffisantem Lächeln, erinnert ohnehin an alles andere als an einen weisen Repetitor und fällt immer wieder wie ein Holzhammer in Gebhards konzentriertes Spiel. Daß Assistent Andreas Bißmeier in zerstreuter Attitüde mindestens einmal einen Lacher ernten wird, hatte Frau Naef geahnt, und den Ärmsten gleich in all seinen kleinen Rollen, die er in Kürmanns Lebensspiel einnimmt, zum abwesenden Trottel verdonnert. Christine Biniasch, die als Assistentin immer einspringt, wenn Not an der Frau ist, muß so lange als rheumatisch gekrümmte Haushälterin debil durch den Raum schlurfen, bis sich auch das letzte Lächeln im Zuschauerraum zur Grimasse verzerrt. Dann wird diese Figur allerdings auch schnell begraben und durch eine hochschwangere italienische Küchenfee ersetzt.

Hier wird soviel Energie-, Zeit- und Materialverschwendung betrieben, daß auch die wirklich dichten Szenen in diesem Umfeld nur noch wie schnöde Kabaretteinlagen wirken: schlaglichtartig wird Kürmann mit den einschneidendsten Situationen seines Lebens konfrontiert, und die zentrale Frage nach der Notwendigkeit genau jener Ereignisse nimmt endlich Kontur an.

Auch die ausgezeichnete Lichtregie unter der Leitung von Michael Gärtner läßt ahnen, daß es sich um geisterhaft packende Schlüsselszenen handelt. Doch Eugenia Naef verwuselt auch diese: pausenlos unterbricht der entnervend genervte Spielleiter und läßt Kürmann keine Sekunde mit sich allein. Hier regiert das Managertum anstelle von Weisheit. Und schließlich Esther Hellmund. Sie gibt die Antoinette Stein mit bewundernswerter Unveränderlichkeit und braucht auch keine Angst zu haben, aus der Rolle zu fallen, weil sie nämlich erst gar nicht hineinfindet. Verschenkt, verschenkt.

Die Vaganten arbeiten keinen einzigen Punkt heraus, sie spielen auch nicht mit den Ebenen des Stückes, sondern nivellieren sie. Und so ist es am Ende, wenn Kürmann wieder alleine im Rollstuhl sitzt, nicht die selbstgeschaffene Leere der Erkenntnis, der er sich gegenübersieht, sondern die, die in zwei Spielstunden nicht zu füllen war.

Petra Kohse