Das Schreien ist ein Problem

■ Im Prozeß gegen zwei Polizeibeamte wird Einblick in die alltägliche Praxis von Abschiebungen gegeben / Fesseln, Knebel und Zwangsjacken gehören zur Ausstattung

Darf ein Häftling mit einem Handtuch geknebelt werden, weil er lauthals gegen seine Abschiebung protestiert? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Moabiter Amtsgericht am gestrigen zweiten Verhandlungstag im Prozeß gegen zwei Polizeibeamte. Der 52jährige Polizeihauptmeister Wilfried K. und der 27jährige Polizeiobermeister Frank B. müssen sich, wie berichtet, wegen des Vorwurfs verantworten, einen Abschiebehäftling am 25. Juni 1987 in einem Airbus der PanAm auf dem Flughafen Tegel schwer mißhandelt zu haben. Unter anderem sollen sie den 36jährigen Ägypter beim Transport ins Flugzeug mit einem Handtuch geknebelt haben, bis die Mundwinkel bluteten. Die Angeklagten hatten „das Anlegen“ des Handtuchs als Schutz, damit der Ägypter sich nicht selbst verletze, gerechtfertigt und damit, daß er gebrüllt habe „wie ein Tier“: Das Handtuch sei als Mittel eingesetzt worden, um den Widerstand zu brechen, Rechtsgrundlage sei das Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs.

Gestern wurde der Vorgesetzte der Angeklagten, der Sachgebietsleiter der Dienststelle VBF Polizeigewahrsam/Überführungen, Gerd Kliesch (52), zu den bei Abschiebungen angewendeten „Hilfsmitteln“ befragt. Der Polizeihauptkommissar bestätige auf Vorhalt von Richter Miller eine Dienstanweisung des Bundesinnenministeriums vom Juni 1986. In dem Merkblatt, das von der Bundesgrenzschutzdirektion Koblenz an die Innenminister der Länder und den Berliner Innensenator verteilt wurde, sind die bei Abschiebungen zulässigen Einsatzmittel aufgelistet: „Handfesseln, Knebelketten, Leukoplast, Mundschutz, Handtuch, Zwangsjacken“. Für die Berliner Behörde war das Merkblatt „nur eine Bestätigung dessen, was bei uns schon immer praktziert wurde“, sagte Kliesch. Knebelketten und Handfesseln gehörten ohnehin zur Standardausrü (Fortsetzung auf Seite 20)

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stung des Überführungsbeamten. Die anderen Hilfsmittel, wie Leukoplast, würden den Beamten nahegelegt, „wenn zu erwarten ist, daß es Schwierigkeiten gibt“. Mit den Handtüchern solle verhindert werden, daß der Häftling mit dem Kopf um sich stoße. Es werde dem Betreffenden wie eine Schlinge um den Hals gelegt, die dann an der Hand des Beamten fixiert werde. Auf die Frage, ob er das Handtuch auch für ein zulässiges Mittel halte, um damit den Mund des Gefangenen zu verschließen, antwortete der Zeuge sehr zurückhaltend.

Das Schreien im öffentlichen Verkehrsmittel Flugzeug sei ein besonderes Problem bei der Abschiebung. Weil „uns wohl kaum ein Pilot mit ei

nem ausgesprochen laut schreienden, tobenden Gefangenen mitnehmen wird, bleibt als einzige Möglichkeit, demjenigen mit Leukoplast den Mund zuzukleben“. Dazu könnten auch Handtücher verwendet werden, „aber ich selbst würde damit sehr vorsichtig sein“, sagte der Zeuge und schob nach: „Ich würde eher für Leukoplast in Verbindung mit Mull plädieren als für ein Handtuch, aber das muß der Beamte selbst sehen.“

Kliesch betonte, daß die Beamten K. und B. keineswegs Spezialisten für schwierige Abschiebekandidaten seien und deshalb auch nicht speziell als Begleiter für den Ägypter auserkoren worden seien. Er hob jedoch lobend hervor, daß der Beamte K. durch seine jahrelange Tätigkeit „im Sachgebiet Überführungen“ besonders erfahren sei. Auf die Frage von Richter Miller, was mit Häftlingen

geschehe, „die einfach nicht wegzukriegen“ seien, erklärte der Zeuge stolz: Das sei in den neun Jahren seiner Tätigkeit noch nicht vorgekommen. „Einmal mußten wir bis Frankfurt ein kleines Flugzeug chartern.“ Als Begleitpersonal seien zwar zwei Beamte vorgeschrieben, aber dagegen werde „aus Kostengründen“ verstoßen, wenn es sich bei dem Abzuschiebenden um einen „ruhigen, willigen Ausländer“ handele. In diesem Fall werde der Häftling von zwei Beamten bis zum Flughafen begleitet, „aber nur einer fliegt bis Frankfurt mit“. Für Abschiebung junger Thailänderinnen -Gruppen seien meist zwei Beamten genug, „weil davon auszugehen ist, daß es zu keinen besonderen Vorkommnissen kommt“, sagte der Beamte. Der Prozeß wird heute fortgesetzt, das Urteil wird am kommenden Donnerstag erwartet.

plu