Fernsehprogramm-Austausch Ost-West

■ Daten und Zahlen zur Entwicklung auf dem Weg zum universalen Mediendorf

Werner E.Breede

Ausgangspunkt ist der Rückgriff auf Teilergebnisse einer vor einigen Jahren global durchgeführten Unesco-Studie: der Programmfluß des öffentlichen und staatlichen Fernsehens in West- und Osteuropa. Er enthüllt auf den ersten Blick das Bild eines verhältnismäßigen Gleichgewichts. In beiden Regionen - in Westeuropa unter Einbeziehung des Materials aus den Vereinigten Staaten - hatten mehr als 40 Prozent der Importware ihren Ursprung im wechselseitigen Austausch untereinander. Allerdings wies der Anteil der US -amerikanischen Programme in Westeuropa nahezu das Doppelte aus im Vergleich zu den UdSSR-Produkten in Osteuropa (44 Prozent gegenüber 24). Wird die Ost-West-Achse jedoch konkreter aufgeschlüsselt, ergibt sich eine Reihe interessanter Gesichtspunkte.

Bulgarien, DDR, Tschechoslowakei, Ungarn:

Die Fernsehanstalten dieser vier Staaten strahlen entweder reine nationale Programme aus (DDR), oder eine national -regionale Mischung, aus der gegebenenfalls regionale Programmeinheiten über das ganze Land oder an bestimmte Bevölkerungsgruppen verteilt werden. Was zum Beispiel Ungarn betrifft, so sind folgende Informationen einer Erwähnung wert: Das neue Pressegesetz von 1986 beendete das fast 30jährige Rundfunkmonopol von 'Magyar Televizio‘ (MTV) und die Postverwaltung erhielt die Verantwortung für die Programmübertragung in den Netzwerken 1 und 2 (wobei Kanal 1 die Programmstunden-Mehrheit von 66 Prozent hält). Das staatseigene Fernsehen wird grundsätzlich aus dem Regierungshaushalt finanziert; jeder der zwei Millionen TV -Haushalte muß monatlich 40 Mark Gebühren bezahlen. Die Hälfte des Staatsgebietes kann zugleich direkt mit Programmen aus Jugoslawien, Österreich, der Tschechoslowakei, der UdSSR und Rumänien versorgt werden.

Die Daten des tschechoslowakischen Fernsehens wurden anhand der Sendezeit von drei Kanälen gewichtet: das nationale Programm sowie die für die tschechische und slowakische Bevölkerung ausgestrahlten Sendungen.

In allen Kanälen sprudelte der überwiegende Teil des Materials für Nachrichten, Informationssendungen und Dokumentationen aus einheimischen Quellen, wobei ergänzend hauptsächlich folgende Nachrichtenagenturen herangezogen wurden: 'Intervision‘, 'Eurovision‘, 'Upi-Tn‘, 'Visnews‘, 'afp‘, 'ap‘, 'reuter‘, 'TASS‘ und 'Upi‘. Wie weit in diesem Zusammenhang die Öffnung gegenüber dem Westen inzwischen fortgeschritten ist, belegt zum einen ein Hinweis von Karol Jakubowicz vom Zentrum für Öffentliche Meinung und Rundfunkforschung beim Polnischen Radio und Fernsehen. Seit März 1987 bietet der 2.Kanal des Fernsehens eine Abendnachrichten-Schau unter dem Titel „Panorama des Tages“ an. In einer 60 bis 90-Sekundenauswahl würden darin u.a. Nachrichten-Filmclips von 'CNN-News‘ Headlines via Satellit eingespeist; ähnlich der Übernahme von Filmclips der Abendausgabe der Hauptnachrichtensendung „Vremya“ des sowjetischen Fernsehens. Die Grundlage dafür sei ein Vertrag mit Ted Turners 'Cable News Network‘ (Atlanta, USA) und mit 'Sky Channel‘ in London (vgl. The Media-Political and Economic Dimensions of Television Programme Exchange Between Poland and Western Europe, Warschau o.J.). Zum anderen bestärken nachstehende, der allgemeinen Programmpolitik zugehörige Ereignisse den westlichen Trend in Polen: ein im März 1988 unterzeichnetes Abkommen mit der US-amerikanischen TV-Gesellschaft 'ABC'; die Realisierung zweier Fernsehbrücken mit den USA (zum Beispiel zwischen Warschau und Chicago); die Ausstrahlung der 75teiligen brasilianischen TV-Serie „Virginia“ im 1.Programm des polnischen Fernsehens ab Juli 1988; die Kooperationen mit der norwegischen Rundfunkgesellschaft 'Nors Rikskringkastink‘, mit dem durch jahrzehntelange Ost-West -Beziehungen (insbesondere DDR, Polen, UdSSR und Tschechoslowakei) erfahrenen 'WDR‘ („Die Kinder aus dem Mühlental“, „Klementinchen“, die Serie „Janka“ u.a.), mit der italienischen 'Realta Cinematografica‘ und mit der französischen Firma 'Technosonor‘.

Sicher spiegelt diese Entwicklung eine der Folgen der Reform der Rundfunkorganisation in Polen seit 1983 wider, als beschlossen wurde, das Staatsunternehmen Radio und Fernsehen prinzipiell in die Selbstfinanzierung auf kommerzieller Basis zu entlassen.

Bezogen auf die jeweilige Gesamtsendezeit erstreckte sich die Bandbreite der importierten Programme im Jahr 1983 von 24 Prozent (Tschechoslowakei) über 27 Prozent (Bulgarien, Ungarn) bis 30 Prozent (DDR). Nach neueren Berechnungen des Mass Communication Centre in Budapest liegt der Einfuhranteil von 'Magyar Televizio‘ (Kanal 1: Allgemeines Programm, Kanal 2: Bildung/Erziehung) momentan bei etwa 20 Prozent im Jahresdurchschnitt. Die Unterhaltung mit Spielfilmen, Serien und Sportberichten bildet - wie schon 1983 - die Masse der ausländischen Angebote. Im Jahr 1986 belief sich die ungarische Gesamteinfuhr auf mehr als 2.000 Stunden (die jedoch nicht alle im selben Jahr gesendet wurden). Der kommerzielle Einkauf stellte mit über 1.000 Stunden den entscheidenden Faktor dar. Dabei wurden ca. 950 Stunden aus dem Westen geliefert, gegenüber nur 75 Stunden aus den sozialistischen Ländern. Die Rangliste der Hauptexporteure und deren Programmstunden: England (330), USA (241), Bundesrepublik (150, inclusive 24 Folgen der 'ZDF'-Serie „Schwarzwaldklinik“) und Frankreich (85). Im Rahmen des Intervisions-Austausches mit mehr als 500 Stunden fielen vor allem die Beiträge aus der UdSSR mit über 300 Stunden ins Gewicht. Die 'Eurovision‘ beteiligte sich mit 250 Stunden am Programm für 'MTV‘. Neben dem Import spielen aber sowohl der Export als auch die Kooperation und die Koproduktionen eine bestimmte Rolle. So bestehen zur Zeit Vereinbarungen mit 43 westlichen Rundfunkinstitutionen, darunter seit 1986 einige TV-Anstalten in den USA und Australien, die Sendungen für die ungarischen Minderheiten ausstrahlen. Trotzdem ist Folgendes nicht zu vertuschen: Die Programmeinfuhr von 'MTV‘ muß drei- bis viermal so hoch angesetzt werden wie der Filmexport. Und sie wird zudem mit etwa 60 Prozent eindeutig von westlichen Staaten beherrscht.

Sowjetunion:

Das sowjetische Fernsehen zeichnet sich durch seinen multinationalen Charakter aus. Neben dem an der Unesco -Studie von 1983 beteiligten Zentralfernsehfunk mit seinen beiden russisch-sprachigen Allunions-Programmen (Moskau1: allgemeines Vollprogramm, Moskau2: eher ein Bildungs- und Regionalprogramm, das 1982 aus dem ehemaligen 4.Programm für Moskau hervorging) senden weitere 120 Regional- und Lokalstationen in der jeweiligen National- oder Minderheitensprache. Das oberste Verwaltungs- und Kontrollorgan für Fernsehen und Hörfunk bildet das staatliche Komitee 'Gostelradio‘. Alle den Film - auch den Fernsehfilm - betreffenden Entscheidungen fallen im Kollegium von 'Goskino‘, dessen Mitglieder wie bei 'Gostelradio‘ vom Ministerrat der UdSSR bestimmt werden. Die 39 Filmstudios sowie die anderen Institutionen und Betriebe des Filmwesens in den 15 Unionsrepubliken ermöglichen es, jährlich 150 abendfüllende Spielfilme, rund 100 Fernseh- und Trickfilme, Tausende Dokumentarfilme sowie eine entsprechende Zahl von populärwissenschaftlichen und Lehrfilmen herzustellen. Filmeinfuhr und -export liegen in den Händen von „Sowjexportfilm„; eine Organisation, die in ca. 70 Ländern vertreten ist, sowjetische Filme in mehr als 120 Staaten verkauft und an Filmmärkten während internationaler Filmfestspiele teilnimmt.

Zahlreiche Fernsehsender der UdSSR liefern unter bestimmten Voraussetzungen Material an das zentrale Fernsehen, das dann nach Bearbeitung in den 12-14stündigen Programmen der Allunionskanäle ausgestrahlt wird - sofern es den Verantwortlichen gesellschafts- und programmpolitisch opportun erscheint. Den Osten der Sowjetunion erreicht der Zentralfernsehfunk über einheimische Kommunikationssatelliten; allerdings mit einer Zeitverschiebung von zwei bis drei Stunden, so daß in den östlichen Landesteilen die reguläre Prime Time (17 bis 23 Uhr) anders definiert werden muß.

Die Programmkategorie Information wies bezogen auf die Gesamtsendezeit des zentralen Fernsehens etwa 30 Prozent aus, darunter lediglich zwei Prozent Auslandsware. Die genauere Betrachtung enthüllt dagegen eine Überraschung: 20 Prozent der Nachrichtenzeit basieren auf Zulieferungen von außerhalb, insbesondere von 'Intervision‘, 'Eurovision‘, 'Visnews‘ und 'Upi-Tn‘. Daß heute nicht zuletzt aufgrund der Politik der „Umgestaltung“ und „Offenheit“ Bewegung in diese Reihe gekommen ist, scheint folgendes Ereignis zu belegen: Im Verlauf des Besuchs des US-amerikanischen Präsidenten Ende Mai/Anfang Juni 1988 in der UdSSR sendete Ted Turners Nachrichtennetzwerk 'CNN‘ in Moskau auf Kabelkanal rund um die Uhr.

Aber das Nachrichtenangebot insgesamt wandelte sich: es verdoppelte seinen Anteil seit einer ersten Programmstrukturanalyse aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre von sechs auf zwölf Prozent im Jahr 1983. Die Programmsparte Information als Ganzes hat mittlerweile auch einen kleinen qualitativen Sprung vollzogen. Jeden Freitag um Mitternacht geht in Moskau der „Blick“ auf Sendung und zeigt sich dabei bedeutend offener als die sehr umsichtig taktierende Hauptnachrichtenschau „Die Zeit“ („Vremya“). Zielgruppen sind vor allem StudentInnen und junge ArbeiterInnen (eine entsprechende Neuheit ist im Leningrader Fernsehen in der Sendung „Die öffentliche Meinung“ zu finden).

Außer in der Kategorie Religiöse Sendungen tauchten 1983 ebenfalls in der Werbung keine Angaben auf. Was zumindest die Werbung für Westprodukte betrifft, so ist diese Zurückhaltung spätestens mit der TV-Ausstrahlung der US-amerikanisch-sowjetischen Koproduktion „Eben in Amerika“ Mitte Mai 1988 aufgehoben worden. Eingebettet in diese fünfteilige Serie über den Alltag in den USA, in der der sowjetische Moderator Wladimir Pozner die Bevölkerung auf den Reagan-Besuch vorbereitete, warb der Limonadenkonzern Pepsi Cola in 20.000 Dollar teuren Spots von je 60 Sekunden um die Gunst eines 150 Millionen Zuschauer umfassenden Publikums. Die zweite Einblendung im gleichen Stil kam von der US-Kreditkartenfirma visa international und vom japanischen Elektronikkonzern Sony, der auf seinen Farbfernseher „Triniton“ aufmerksam machte. Ende März 1988 hatte der Ministerrat einen Beschluß über die Reform der außerwirtschaftlichen Werbung gefaßt. Denn die staatliche „Vneschtorgreklama“ durfte bis Ende 1987 nur im internationalen Moskauer Flughafen und im internationalen Handelszentrum für Westprodukte und -firmen werben.

Gemessen an der absoluten Sendezeit der beiden Allunionskanäle in Höhe von 370 Stunden belief sich die Gesamteinfuhrquote zwar nur auf acht Prozent, wobei die Unterhaltung den größten Einzelposten der eingeführten Produkte ausmachte (18 Prozent). Aber auch hier „steckt der Teufel im Detail“: So waren zum Beispiel unter den Fernsehfilmen (u.a. der mit der Mongolei koproduzierte Streifen „The Exodus“) und TV-Theater-Shows ca. 40 Prozent, unter den Sportübertragungen ein Drittel Auslandsprodukte zu finden. Alle diese Angaben sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, stellen eher die ideelle als die wirkliche Einfuhrmenge dar. Denn die Produktionen verändern sich von Woche zu Woche. Unter diesem Manko leiden daher auch die folgenden Angaben zu den Ursprungsländern der Importe und deren Quoten: Bundesrepublik (23 Prozent), Frankreich (22 Prozent), Tschechoslowakei (14 Prozent). Die Mongolei, Jugoslawien und die Vereinigten Staaten beteiligten sich mit jeweils sechs Prozent. Zu den Ländern zwischen ein und vier Prozent gehören u.a. England, Österreich, Polen und Sri Lanka. Insgesamt betrachtet kamen die 30 Importstunden zu 65 Prozent aus dem Westen und zu 35 Prozent aus dem Ostblock.

Um nicht an der neueren Entwicklung vorbeizugehen, seien vor der anschließenden Erörterung über die Beziehungen zwischen 'Intervision‘ (OIRT) und 'Eurovision‘ (UER) beispielhaft nachstehende Vorgänge genannt: 1984 entstand die Koproduktion „Das Ufer“ unter Beteiligung des Moskauer Filmstudios Mosfilm, des 'WDR‘ und der Berliner 'Allianz -Film-Gesellschaft‘. Das erste Austauschpaket zwischen dem UdSSR-Zentralfernsehen und dem 'ZDF‘ war 1987 geschnürt worden, ein neues Arbeitsabkommen wurde Anfang Mai 1988 in Mainz unterzeichnet. Die Gerichtsverhandlung gegen den Hobbyflieger Mathias Rust im September 1987 vermarktete 'Gostelradio‘ weltweit; zum Beispiel bot es dem 'WDR‘ das Filmmaterial für 250.000 Mark an. Seit 1985 gibt es Koproduktionsvereinbarungen zwischen sowjetischen Stellen und der Berliner Filmgesellschaft 'Chronos‘, u.a. bezüglich des im Zentralstudio für Kinder- und Jugendfilme Maxim Gorki (Moskau) produzierten Filmepos „Das 20.Jahrhundert“. 1987 kaufte 'Gostelradio‘ seine erste westeuropäische Serie ein: die 'ZDF'-Krimifolge „Derrick“. Seit längerem können über 20.000 Kabelfernseh-Haushalte eines kleinen Ortes in der Nähe von Den Haag das Programm von Moskau1 empfangen. Und Ende Oktober 1988 schlugen der 'WDR‘ und 'Gostelradio‘ unter dem Motto „Die Wahrheit der Soldaten“ eine Fernsehbrücke zwischen Köln und Wolgograd, dem früheren Stalingrad.