„Alle sollen glücklich werden“

B-Weltmeisterschaft in Frankreich: Unangenehme Pflichtaufgabe für Handball-Bundestrainer Ivanescu  ■  Von Ernst Thoman

Kaiserau (taz) - Der „Magier“ wurde er genannt. Das war vor elf Jahren, gemeint war Weltmeister Vlado Stenzel. „Ich bin Petre Ivanescu, ein ganz normaler Mensch“, sagt der aktuelle Ressortchef der Sparte „Trainer des Deutschen Handball -Bundes (DHB). Und während er die kurzgepreßten Schablonen seiner ureigenen handballerischen Handschrift für schlicht überflüssig erklärt, lehnt sich dieser Petre Ivanescu entspannt in das Sesselleder, und tatsächlich: er lächelt dabei. Ganz so, als sei an dem Vorurteil des brutalen Schleifers oder der Schablone des „Psycho-Killers“ schier alles ersponnen.

Martin Schwalb, halbrechter Rückraum-Germane, hält das Training des gebürtigen Transsylvaners, zweimal Weltmeister mit Rumänien, „für das Brutalste, was ich körperlich je mitgemacht habe.“ Der nominell beste Linksaußen der Handballwelt, Jochen „Scholle“ Fraatz, bei TuSEM Essen drei Jahre unter Ivanescu, kam drei- bis viermal vormittags zum Sondertraining. „Zuckerbrot kennt der nicht“, urteilt er über „Petre“, den alle in der Nationalmannschaft beim Vornamen nennen dürfen. Die Formel zur Aufhebung des „Widerspruchs Ivanescu“ weiß Erhard Wunderlich aus alten, gemeinsamen Tagen beim VfL Gummersbach: „Petre kann eine ziemliche Sau sein, aber er ist ein sehr, sehr guter Mensch, Trainer und Psychologe.“

Der gute Mensch schickte in den fünf Wochen kasernierten Trainingslagers in Kaiserau die Spieler abends mit einem „Ich hasse Euch“ ins Bett, um sie mit einem freundlichen „Aufstehen, Ihr arroganten Säcke“ auf den taufrischen Tag einzustimmen. „Da ist viel Flachs dabei“, lächelt Ivanescu schon wieder, bevor er das Thema „Erziehung zum Hochleistungssport“ variiert, jetzt ernsthaft mit dem an der Oberfläche vorherrschenden Gesicht des Permanent-Grantlers, mit flink und ständig im Raum wandernden Augen und einer Nervosität, hinter der Leidenschaft glüht.

Ivanescu übernahm die Mannschaft, die jetzt das für einen Großmeister wie ihn lästige Gesellenstück B-WM abzuliefern hat, vor 18 Monaten. „Am Anfang stand eine knallharte Auseinandersetzung über Hochleistung an“, steckt der beurlaubte Essener Gymnasiallehrer das noch immer geltende Terrain ab, „denn die Gesetze sind nicht nur im Handball brutal.“ Nur hat das enge, schnelle Spiel am Kreis mehr als anderswo „manchmal mit Krieg zu tun und ist auch ein bißchen wie Sterben.“ Im Handball-Darwinismus überlebt der Stärkere, und da darf auch ein Trainer schon mal geliebt werden: „Nach dem Sieg, wann denn sonst?“ Handball ist für Ivanescu Entscheidungstraining. Aus dem Dreiklang Physis-Technik -Taktik sei kaum noch etwas herauszuholen, entscheidende Reserven lassen sich nur schöpfen aus dem Doppelpaß von Geist und Psyche. Ein Erfolgsgeheimnis habe er nicht, meint Ivanescu, aber die Rezepte stellt er aus. Allein, basta!

Der harte Kern des Petre Ivanescu wird brüchig, wenn er über Methodik im Training redet, lange, leise und sanft. Über die Leidenschaft hinaus wird die Liebe spürbar, die Andacht, unterbrochen durch einen Fußball-Knirps: „Kann ich bitte drei Autogramme haben, zwei für meine Freunde, die schlafen schon.“ Ivanescu schreibt und spricht: „Du wirst drei Ivanescu gegen einen Beckenbauer tauschen.“

„Meine Erfolge als Spieler und Trainer kann mir niemand nehmen.“ Ivanescu hat Bayer Dormagen in die Bundsliga geführt, ist jetzt mit Niederwürzbach auf dem gleichen Weg. Die unwahrscheinliche, aber konsequente Perspektive schiebt Ivanescu sofort nach: „Wenn wir uns in Frankreich nicht qualifizieren, wird es keinen Bundestrainer Ivanescu mehr geben.“

Niemand denkt an diese Variante, und der Grantler mit den grauen Haarborsten denkt eh nur in Richtung des Gipfels: „Diese Mannschaft wird immer stärker. Wäre heute Weltmeisterschaft, wir würden Platz eins bis sechs machen.“

Es ist halt nur B-WM, diese lästige Pflicht zur Qualifikation in den Kreis der Etablierten, bei denen Weltmeister und Olympiasieger UdSSR nach den Worten von Cheftrainer Anatoli Jewtuschenko aktuell nur in der BRD ernsthafte Konkurrenz hat.

In Belfort und Straßburg, den Spielorten der bundesdeutschen Auswahl, dürfte es kaum eng für Ivanescu werden. „Sie irren“, irritiert der Chef-Coach, „auch die Russen würden in Frankreich zittern. Dieses Turnier ist in seiner nervlichen Belastung nicht normal. Wir können uns nur blamieren. So ist das bei vielen Davids und wenigen Goliaths.“

„Aber“, wird Ivanescu noch einmal leise und sanft, „natürlich denke ich nur an Prag.“ Dort ist im nächsten Jahr die echte WM. Für diesen Fix-Termin wünscht Petre Ivanescu, ohne den Traum auszusprechen, „daß alle meine Spieler glücklich werden.“ Und einen Vorschlag hat er noch zum Abschied: „Lassen Sie uns von der B-WM wiederkommen. Dann setzen wir uns wieder an einen Tisch, und dann lassen Sie uns träumen.“ GRUPPE D:

BRD - Norwegen:22 : 17

Schweiz - Niederlande:22 : 16 GRUPPE A:

Dänemark - Ägypten:27 : 19 GRUPPE B:

Frankreich - Israel:27 : 18 GRUPPE C:

Rumänien - Kuweit:25 : 16