Kann denn Literatur Tod-Sünde sein?

Iran setzt Kopfgeld auf den in Großbritannien lebenden Autor Salman Rushdie aus / Khomeini läßt vor der britischen Botschaft in Teheran gegen den Roman „Satanische Verse“ protestieren / Kiepenheuer&Witsch überlegt noch Herausgabe der deutschen Ausgabe  ■  Aus London Rolf Paasch

Der achtjährige Krieg mit dem Irak ist beendet. Die iranische Revolution braucht ein neues Feindbild. Gerade, als die verschiedenen Fraktionen des Teheraner Regimes auseinanderzudriften schienen, hat der greise Gründer der Islamischen Republik nun einen neuen gemeinsamen Satan kreiert: den in Bombay geborenen und in London lebenden Schriftsteller Salman Rushdie, dessen jüngster Roman „Satanic Verses“ bereits in vielen islamischen Ländern wegen seines „blasphemischen“ Inhalts verboten worden ist. Indem er die Hinrichtungsliste seines Regimes jetzt noch um den Kopf eines im Westen lebenden Literaten erweitert hat, versucht Ajatollah Khomeini genau jene Balance zwischen den verschiedenen, um seine Nachfolge kämpfenden Fraktionen wiederherzustellen, die ihn für eine Dekade an der Macht gehalten hat.

Erstes Opfer des am Dienstag im Namen Allahs ausgesprochenen Hinrichtungsbefehls ist nicht etwa der unter Polizeischutz abgetauchte Rushdie, sondern das diplomatische Verhältnis zwischen dem Iran und Großbritannien. Nach einer inszenierten Demonstration vor der britischen Botschaft in Teheran, in dem die aufgebrachten Teilnehmer neben dem Tod Rushdies gleich auch noch den „Tod Englands“ und Amerikas forderten, sehen sich nun selbst die an einer Annäherung an den Westen interessierten „Tauben“ im iranischen Außenministerium zu Rückgriffen auf radikale Revolutions -Rhetorik gezwungen. So bezeichnete der gemäßigte Sprecher des Parlaments Haschemi Rafsandschani Rushdies unschuldig -literarisches Werk nun plötzlich als „kalkulierte schlimme Verschwörung gegend den Islam“.

Auf der anderen Seite steht auch die Regierung Thatcher unter immer größerem Handlungszwang, nachdem sie mit Rücksicht auf die winkenden Verträge über Waffenlieferungen zu den Morddrohungen gegen Rushdie, der einen britischen Paß besitzt, bisher geschwiegen hat. Nach einem unergiebigen Treffen zwischen dem Leiter der britischen Rumpf-Botschaft in Teheran und Vertretern des Ajatollah-Regimes wurde der Chef der iranischen Mission in London am Donnerstag mittag zum Rapport ins britische Außenministerium bestellt. Wären da am Mittwoch nicht führende britische Schriftsteller mit einer Petition vor Margaret Thatchers Haustür aufgetaucht, hätte die britische Regierung die ganze Affäre am liebsten den Polizisten von Scotland Yard überlassen, die dem untergetauchten Rushdie Schutz gewähren. Der Romanautor wird derzeit von genau den Polizeikräften beschützt, die in seinem auch in England spielenden Roman illegale Einwanderer verprügeln und dazu zwingen, ihre eigenen Exkremente zu essen. Terrorismus-Experten gehen davon aus, daß Rushdie nach der Aussetzung eines Kopfgeldes von einer Million Dollar durch den prominenten Leiter einer iranischen „Wohlfahrts„-Organisation den Rest seines Lebens unter Polizeischutz verbringen muß. Auf die geplante Vorlesetour durch die USA, so teilte sein Verlag Viking Penguin am Donnerstag mit, werde Rushdie jedenfalls nicht gehen. Der US -Verlag hält jedoch trotz der zahlreichen Drohungen und trotz des gestern in Teheran verhängten Verkaufsverbots an seinen Plänen fest, im September eine Taschenbuchausgabe der „Satanic Verses“ mit einer ersten Auflage von 125.000 Kopien auf den Markt zu bringen.

Europäische Verlagshäuser scheinen da weniger mutig. Während Italiens Radikale Partei am Mittwoch alle Staatsoberhäupter zu einer angemessenen Antwort auf „Khomeinis Nazi-Islamisierung“ aufforderte, setzten die italienischen und französischen Verlage ihre Übersetzungverträge mit Viking Penguin angesichts der gespannten Situation erst einmal aus. Auch Kiepenheuer&Witsch ist offenbar dazu bereit, sich von den Mullahs in seine Verlagspolitik hereinreden zu lassen. Eine Sprecherin des Verlages erklärte am Donnerstag gegenüber der taz, man überlege sich derzeit noch, ob die deutsche Ausgabe wie geplant im Herbst herauskommen werde.