Es hätte so geschehen können

■ Der Anfang eines Interviews mit Herta Müller über ihre Ausreise aus politischen Gründen, über das Banat-Schwäbische und das Autobiografische in ihrem ersten Buch „Niederungen“

Sie trägt die stoppelsteilen Haare rot, den Hosenrock kurz, das Gesicht bemalt, spricht nicht etwa ein schwäbisches sondern ein wienerisches Deutsch, reagiert auf alle Fragen, die auf Banat-schwäbisch-Landsmannschaftliches zielen, mit Distanzierung. Eine entschiedene Großstädterin. Aber der nylonteppichbeplüschte und naßzellensterile Charme im Plaza - Herta Müller:„das soll wohl elegant sein“ - läßt sie schaudern und uns zum Interview in die Korbsessel vor dem Aufzug fliehen....

taz:Sie sind 1987 nach West-Berlin ausgewandert. In einemIn

terview sagten Sie, die Hin-und Herpendelei hätte aufhören müssen, weil die Diskrepanz zwischen diesen beiden Welten so nicht auszuhalten gewesen sei.

Herta Müller: Das möchte ich schon sehr deutlich sagen: Der Grund dafür war natürlich die politische Situation in Rumänien. Und das andere, daß ich hier zu Besuch war und dann zurück bin und diese Diskrepanzen aufgetaucht sind, diese Distanzen, die

24 Stunden mit dem Zug betragen und Jahrhunderte ausmachen fast, wenn man die Unterschiede bedenkt, das war dann etwas, was dazukam und für mich selbst als Person das auch beschleunigt hat. Aber der Grund war schon, daß ich in diesem Land nicht mehr leben wollte und nicht mehr leben konnte.

Sie sind mit zwei Kollegen gekommen?

Herta Müller: Ich bin mit mei

nem Mann gekommen und mit meiner Mutter. Also meine Mutter hat man mitgepackt. Die hat sonst niemanden in Rumänien. Ich hab sie gefragt, sie soll sich entscheiden. Und es war kein Problem, ich meine, man hat sie mit uns in die Papiere geschrieben und einfach mitgepackt, als Gepäck also. Die andern sind dann alle später gekommen, der Totok ein halbes Jahr später und Fraundorfer ein ganzes Jahr, Lippert ist später gekommen.Wir sind so der erste Fall gewesen, wo Ausreise aus politischen Gründen vorlag, und da wußten sie wahrscheinlich noch nicht, wie sie damit umgehen wollten.

Haben Sie denn Ausreise aus politischen Gründen beantragt?

Herta Müller: Ja, wir haben eine Erklärung geschrieben, aufgezählt, was seit den 60er Jahren alles geschehen war...

Was haben Sie da aufgezählt?

Herta Müller: Also, bei meinem Mann war es die Aktionsgruppe Banat, die hat man zerschlagen, dann war er in Untersuchungshaft, dann waren mehrere Hausdurchsuchungen. Ich habe meine Stelle im Betrieb verloren, weil ich nicht mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten wollte. Ich war Übersetzerin in einem Machinenbaubetrieb. Und er war Lokalkorrespondent bei einer Zeitung in Siebenbürgen und ist dann rausgeflogen und war schon drei Jahre, bevor wir weggingen, arbeitslos. Als Fazit haben wir gesagt, daß wir mit dem Regime nichts zu tun haben wollten.

War Ihnen klar, daß Sie das schaffen würden mit so einer offenen Begründung?

Herta Müller: Es war nicht abzusehen, was eintritt, wenn das losgeschickt ist. Aber man hat auch ein bißchen gerechnet: Wenn sie uns verhaften, haben sie Scherereien. Die deutsche Minderheit

wandert sowieso massiv aus. Also war es naheliegend, sie werden uns dazu packen zu diesen 1000, die da jährlich weggehen. Und von außen gesehen, haben Sie uns auch so behandelt, als ob das dazu gehören würde.

Haben Sie Kontakt zu Banater Schwaben?

Herta Müller: Nein, habe ich nicht. Den habe ich auch in Rumänien nicht gehabt. Außer zu den Leuten, die dasselbe gemacht haben, wie ich auch. Ich meine, die Leute leben ja meist auf dem Land, und so auf dem Land war meine Anwesenheit schon lange nicht mehr selbstverständlich. Ich bin da auch selten hingefahren und habe mich am sogenannten Dorfleben und an FestenLeben in den letzten 15 Jahren nicht mehr beteiligt. In Berlin leben nur wenige und ich habe mit denen überhaupt nichts zu tun.

Sie leben also mit Ihrer Mutter und Ihrem Mann...

Herta Müller: Ich lebe nur mit meinem Mann, meine Mutter wohnt nicht mit mir, das ist auch undenkbar. Das war auch in Rumänien nicht so, und es gibt hier auch keinen Grund, daß das so sein sollte. Wir sehen uns einmal in der Woche oder einmal in zwei Wochen, das reicht. (Gelächter von zwei Seiten).

Die Darstellung der Mutter in den „Niederungen“ macht den Eindruck, als hätte sie autobiographische Züge. Stimmt das?

Herta Müller: Ja, ich weiß jetzt nicht...im weitesten Sinne des Wortes wahrscheinlich. Was atmosphärisch vermittelt wird durch den Text, stimmt natürlich. Und was als konkrete Fakten vorkommt, hätte genauso geschehen können. Ob es jetzt geschehen ist oder nicht, das ist auch völlig belanglos. So gesehen, sind die meisten Dinge erfunden, weil sie nicht geschehen sind. Sie hätten

aber geschehen können. Manches stimmt. Mein Vater war Alkoholiker, in der SS war er auch. Meine Mutter war auch in die Sowjetunion deportiert. Und die Eigenschaften der Personen, dieses Schuften, dieses manische Saubermachen, dieses Sparen als Lebensinhalt und sonst nichts, das stimmt auch, ja. Aber, ich meine, das betrifft nicht nur meine Mutter, das ist der Menschentypus aus dieser Gegend.

An dieser Stelle schaltete sich unbemerkt der Recorder aus. Enthielt uns leider vor, wie Herta Müller beschreibt, daß sie wohl weiß, daß sie ins Zentrum des mörderischen Geschehens von damals umgezogen ist. Bei den Häusern, die stehengeblieben sind, wage sie sich kaum darüber zufreuen, weil an fast an jedem etwas klebt. Wie die vielen alten Frauen in Berlin-W.mit den Gesundheitsschuhen und den Handtäschchen und den mißtrauischen Blicken sie stutzig machen. Daß man aber keiner ansehen kann, ob sie vielleicht selber verfolgt war. Sie spricht über das Hineinstürzen in ihre erste Lesereise, die nicht nur Verlagswunsch, es sondern auch ihre Weise gewesen, das Land kennen zu lernen. Berichtet über das neue Buch, in dem sie diese Erfahrungen verarbeitet.

Uta Stolle