Geister, Glatzen und Gesamtschule

■ 1.500 SchülerInnen beim 2. Bremer SchülerInnenkongreß / Lust auf Übersinnliches, Angst vor Neonazis, wenig Bock auf GSV / Neuester Schrei gegen den Schulfrust: Dämonenglaube und Gläserrücken

Gibt es Geister und übersinnliche Kräfte? Muß Schule aus frontal labernden PaukerInnen und peripher dösenden SchülerInnen bestehen? Warum werden Skins

Skins und kann man mit ihnen noch diskutieren? Rund 1.500 Bremer SchülerInnen trafen sich gestern zu ihrem 2. SchülerInnen-Kongreß in der Universität, um zu

diskutieren, was SchülerIn nen-Leben heute spannend oder öde, sorgen- oder lustvoll, politisch oder modisch macht. Sie sorgten - zunächst mal für Chaos: Offensichtlich hatte die GesamtschülerInnenvertretung (GSV) selbst nicht mit dem Riesenansturm auf die rund 30 Arbeitsgruppen gerechnet. Räume waren zu klein, AGs zu groß, DiskussionsleiterInnen knapp. Und als ein GSV-Mitglied gegen Mittag einen dicken Packen Geldscheine zusammenzählte, hatten weit über 1.000 SchülerInnen je drei Mark bezahlt, Abschlußfete, Filmnacht und Bustransport inclusive.

Eindeutiger Renner unter den Arbeitsgruppen: „Okkultismus und neuer Aberglaube“, gefolgt von „Neonazis an Schulen und was man dagegen tun kann.“ Rund 100 SchülerInnen wollten vor allem wissen, was an Wünschelruten-Gängen, Tarrot, Gläserrücken und sonstigen Kommunikationsformen mit außerirdischen Mächten dran sei, und enttäuschten so die leise Hoffnung der Kongreß-OrganisatorInnen, die Bremer Schülerschaft zu neuen Auseinandersetzungen mit irdischeren Mächten, etwa dem Bremer Schulsenator, motivieren zu können: Ganze 15 Leute interessierten sich für eine Arbeitsgruppe, die der Frage nachging, wie sich Schüler-Parlament und Schüler-Vertretung beleben lie

ßen.

Viel mehr Sorgen machen Bremer SchülerInnen anscheinend die Neonazis, die inzwischen an und vor vielen Schulen ihr alkoholträchtiges und schlagkräftiges Unwesen treiben. Allerdings, und das war eine der ersten Fragen in mehreren AGs: „Ist jeder 14jährige, der sich die Haare milimeterkurz rasieren läßt, Bomberstiefel trägt, ausländerfeindliche Parolen brüllt, schon ein Rechtsradikaler? Oder verbirgt sich hinter der Maske des prügelfreudigen Provakateurs vielleicht nur ein armes Schwein, das sich mit Baseball -Schlägern und Bierdosen für ein bißchen Selbstbewußtsein und Anerkennung abrackert?“ So oder so: Viele SchülerInnen haben inzwischen Angst auf dem Schulweg oder beim Besuch von Pop-Konzerten, von jugendlichen Schlägertrupps angepöbelt zu werden. Ihnen ist es egal, ob sie von ideologisch sattelfesten Nazis oder sinnlos besoffenen Horden verprügelt werden. Was also tun: Selbsthilfegruppen organisieren und Telefonketten zum „Glatzen-Klatschen“ bilden oder den Geschichtsunterricht und die Jugendfreizeitheime neuorganisieren? Spätestens an dieser Frage teilten sich die Geister in allgemeine Ratlosigkeit: Während die einen auf die Gewalt von Skins unbedingt gewaltfrei antworten wollten, träumten andere

von „Minipeilsendern für Antifas“, mit denen sich auf Knopfdruck Zurückschlägertrupps mobilisieren ließen.

Da ging es in der AG „Neuer Aberglaube“ sehr viel esoterischer zu. Ufos und Außerirdische, Dämonen und Voodoo erfreuen sich bei SchülerInnen offensichtlich wachsender Beliebtheit. Zum kaum verhohlenen Mißfallen von AG-Leiter Frank Sobich, der sich alle Mühe gab, dem Vormarsch des „Mittelalters“ in den Schülerköpfen Einhalt zu gebieten und den „faulen Zauber“ zu entlarven. Von Marx bis Weser-Kurier hatte der Referent in einem Reader alles mobilisiert, was gut, teuer und der Aufklärung förderlich ist. Seine Erklärung für Gerüchte, Gelesenes und Geglaubtes im Auditorium: 99,9 Prozent Schwindel. Seine Warnung: Der letzte Schrei der Schüler-Freizeitkultur könne schnell eine „ganz gefährliche Sache“ werden. „Es ist kein Freizeitjux, die eigene kritische Vernunft abzutreten an Dämonen und Geister.“

Hinterher war eine Teilnehmerin ein bißchen enttäuscht. Sie glaubt auch nach dem Bremer SchülerInnen-Kongreß an Wiedergeburt und Vorherbestimmung ihres Schicksals. Und sie verriet auch, warum: „Nur Schule, nur Wissenschaft, gar keine Geheimnise mehr - das ist mir zu langweilig.“

K.S.