DIE ANGST SCHLÄFT NUR

■ Interview mit Marie-Jo Lafontaine

taz: Wie kommt es, daß Ihre Arbeiten in Deutschland erst in den späten 80er Jahren gezeigt wurden?

Lafontaine: Weil ich noch nicht lange in Deutschland arbeite. Meine erste Ausstellung in Deutschland war 1986 im Sprengel Museum, Hannover mit der Videoinstallation „A las cinco de la tarde“. Dann kam 1987 die Documenta 8 in Kassel mit der Videoinstallation „Les larmes dacier“ und ein Ausstellung in der Galerie Walter Storms, München. So hat das angefangen. Ich habe sehr viel in Frankreich und Amerika ausgestellt.

Werden Sie jetzt verstärkt in Deutschland und Berlin ausstellen?

Ich möchte hier viel mehr machen. Aus persönlichen Gründen hatte ich früher Schwierigkeiten mit Deutschland, daß heißt historische Schwierigkeiten. Es war eine große Entdeckung für mich, in Deutschland phantastischen Menschen begegnet zu sein. Dann vergißt man die Vergangenheit, die Ressentiments. Ich hatte ja damit gar nichts zu tun, aber es war das Wissen. Die Leute, die nach dem Krieg geboren wurden, müssen das große Leid nicht tragen. Die Leute vermischen sich überall: New York ist nicht Amerika, Berlin ist nicht Deutschland, Paris ist nicht Frankreich. Das ist phantastisch heute. Man soll auf einer neuen Basis weitergehen, ich bin dafür ganz positiv eingestellt, und heute ist das kein Problem mehr für mich.

Sie haben auf der Documenta eine ihrer Videoarbeiten gezeigt. Sie arbeiten aber auch noch in anderen künstlerischen Bereichen.

Ich bin ein Künstler, der schon zehn Jahre arbeitet. Meine erste Ausstellung hatte ich mit schwarzen monochromen Arbeiten 1977 in Brüssel. Da habe ich noch nicht mit Video gearbeitet. Ich arbeite immer parallel - wenn ich mit Video gearbeitet habe, habe ich auch mit Skulpturen gearbeitet, und ich bin immer weiter gegangen mit meiner monochromen Malerei. Mein Oeuvre ist wie ein Wald mit verschiedenen Wegen, die alle auf einen Punkt zulaufen. Die verschiedenen Wege, das sind die Videos, das ist die Malerei, das ist die Fotografie, das sind die Skulpturen. Aber der Inhalt ist immer derselbe. Ich spreche immer über dieselbe Sache, den „innerlichen Diskurs“. Das Thema ist immer dasselbe, ich ändere nur das Medium.

Bei Ihrer Arbeit „Hommage a Lotte Jacobi“ steht der Satz: „Die Angst ist da. Sie schläft nur.“ Dise Satz hat mich sehr aufgewühlt.

Die Angst ist bei jedem da. Wenn Sie nachts um drei auf der Straße laufen und hinter Ihnen läuft jemand, ist die Angst da, und vorher hat sie nur geschlafen.

Männer kennen diese Angst nicht (so? sezza).

Doch, Männer kenne diese Angst auch. Die haben genauso viel Angst.

Wenn ich einen Mann erzähle, daß ich nachts auf der Straße Ängste habe, versteht er das überhaupt nicht (du kennst die falschen männer. sezza).

Er sagt, daß er keine Angst hat. Die Männer haben genausoviel Angst wie die Frauen. Sie habe andere Ängste, aber die Ängste sind da, bei jedem.

Ich stimme Ihnen zu, daß sie andere Ängste haben.

Ich habe das nur gesagt als Beispiel. Es gibt viele Ängste: Todesangst, Lebensangst. In dem Moment, wo man auf der Welt ist, ist der Tod schon da, es ist schon keine Hoffnung mehr da, es ist nur noch die Angst da. Bei diesem Satz kriegt der Betrachter Angst, man denkt nie darüber nach. In dem Moment, als ich das draufgeschrieben habe: „Die Angst ist da. Sie schläft nur.“ - Seither denke ich immer daran.

Was war zuerst da - der Satz oder das Bild?

Beides zusammen ungefähr.

Wie kommmt die Auswahl der Photos zustande?

Bei der Arbeit „Die Angst ist da. Sie schläft nur.“ (Heidegger), 1988 ist das Photo aus dem Video von mir, „A las cinco de la tarde“, 1985. Ich mache auch Bilder ohne Fotografie, große monochrome Arbeiten, schwarz-rot zum Beispiel, auf dem nur draufgeschrieben steht „Sangue! Sangue! Sangue!“, daß heißt Blut! BLut! BLut!. Wenn man nichts draufschreibt, ist nichts da. Aber wenn man Blut! Blut! Blut! drauf schreibt, heißt das, die Leute brauchen Blut zum Überleben. Das Blut muß sein, daß andere überleben können. Das ist der Sinn der Arbeit.

Meinen Sie Blut im Sinne von Sterben?

Nein, Blut im Sinne von Töten. Man muß töten, daß die anderen weiterleben können. Das ist wie im Wald oder in der Wüste: Die Löwen müssen die anderen fressen, sonst sterben sie. Sangue! Sangue! Sangue!, das ist dreimal weiter gesehen. Sangue ist von Eduardo Pessoa. Ich lese diagonal und arbeite nur mit Texten von Baudrillard, Nietzsche, Heidegger, Pessoa, Canetti. Im Moment dreht es sich darum. Und später kommt vielleicht etwas anders.

Arbeiten Sie allein, oder haben Sie Helfer?

Ich arbeite natürlich alleine. Manchmal hilf mir jemand, das Material zu bewegen. Das Material ist schwer in der Masse. Das Holz hat Energie, und es ist handlackierte Ölfarbe drauf. Es sind sieben bis acht Schichten Farbe. Die Farbe ist ganz zerbrechlich, da muß man gut aufpassen. Das ist wie eine große Kristallvase. Wenn man eine große Vase hat und den richtigen Punkt findet und antippt, dann bricht sie zusammen. Das ist auch der Schwerpunkt in meiner Arbeit

-die Zerbrechlichkeit der starken Leute.

Jetzt möchte ich noch etwas ganz anderes fragen. Wie sind Ihre Erfahrungen im Kunstbetrieb? Die Künstlerin Rune Mields spricht sich für eine Quotenregelung bei öffentlichen Ausstellungen aus (40 Prozent Frauen, 60 Prozent Männer). Wie ist Ihre Meinung hierzu?

Dieses Problem kenne ich überhaupt nicht. Ich bin überbucht, ich habe zu viele Ausstellungen. Ich muß Ausstellungen absagen. Es geht nicht um Frau oder Mann. Die Arbeit muß gut sein, die Arbeit muß etwas zu sagen haben, dann ist die Arbeit genausogut vertreten wie andere Arbeiten auch. Es gibt eine ganze Menge Leute, die meine Videoarbeiten ausstellen möchten, aber das Geld nicht haben. Dann können sie meine Arbeit eben nicht haben. Da bin ich ganz kategorisch drin.

Das Problem Frau und Mann in der Kunst, da will ich gar nichts davon hören, das ist kein Problem. Ich habe ganz regelmäßig gearbeitet, ganz strukturiert, ganz alleine. Für mich hat sich nie das Problem gestellt, daß ich eine Frau bin und leider kein Mann. Ich war im Modern Art Museum, Los Angeles, 1988 mit einer Videoinstallation und Anselm Kiefer im Museum of Contempory Art. Die Begeisterung vom Publikum und der Presse war fabelhaft, so gut wie für Anselm Kiefer, wie für mich. Wir hatten 100.000 Besucher, also was wollen Sie mehr!

Frauenkunst, das ist etwas ganz anderes - Näherei oder so etwas. Ich habe mich nie damit beschäftigt und werde es auch nie tun. Ich bin in einer ganz harten Männerwelt aufgewachsen. Die Kunstwelt ist so hart wie die Geschäftswelt. Es geht um ein Produkt, es geht um Kunst, die Kunstwerke müssen eine Wahrheit darstellen.

In der Ausstellung „Zeitlos“ im Hanmburger Bahnhof waren von 42 Künstlern nur drei Frauen dabei. Dieses Manko fiel sogar einigen Männern auf.l

Das ist ein historisches Problem, das kriegt man nicht so schnell aus dem Wege, weil die Männerwelt zusammenhält. Das ist wie in der Geschäftswelt.

Interview: Elke Melkus

Komposition Inszenierung, Marie-Jo Lafontaine, Jean Le Gac, Guillaume Bijl, Christian Boltanski, Kazuo Katase

Bis zum 31.3.1989 in der Galerie Wewerka, Pariser Str. 63, 1 -15. Di-Fr. 11-18.30 Uhr, Sa. 11-14 Uhr