Solidarnosc ante portas

Regierung und Opposition einig über Gründungsmodalitäten von Solidarnosc und Bauernsolidarität / Walesa zeigt sich „begeistert“ Offizielle Gewerkschaften OPZZ kündigen landesweite Proteste für höhere Löhne im Transportwesen an  ■  Von Klaus Bachmann

Berlin/Warschau (taz/afp/dpa) - Regierung und Opposition haben sich im Warschau über die Gründungsmodalitäten für die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc geeinigt. In einem am Donnerstagabend veröffentlichten gemeinsamen Kommunique stellen beide Seiten fest, das Arbeitsrecht müsse dahingehend modifiziert werden, daß sich eine Gewerkschaft sofort landesweit konstituieren könne. Das bisherige polnische Recht sah eine Stufenlösung vor: Erst mußte eine Gewerkschaft auf Betriebsebene und regionaler Ebene gegründet werden, bevor sie sich landesweit registrieren lassen konnte. Ebenfalls vereinfacht werden soll das Streikrecht, das eine langwierige und komplizierte Schlichtung vorschreibt, die Streiks nahezu unmöglich machte. Dies war in der Vergangenheit auch von den offiziellen Gewerkschaften OPZZ häufig kritisiert worden.

In Danzig erklärte Lech Walesa: „Das Ergebnis ist großartig.“ Selbst Solidarnosc-Pressesprecher Janusz Onyszkiewicz sieht „Grund zu Optimismus.“ Dies um so mehr, als die Regierung auch der Gründung der Bauernsolidarität zugestimmt hat. Über der Frage der Zulassung dieser Interessenvertretung für die privaten Landwirte war es 1980 beinahe zu einem landesweiten Konflikt gekommen.

Trotz der Fortschritte am runden Tisch ist die Lage im Land alles andere als entspannt. In Danzig protestierten Werftarbeiter: „Wir glauben nicht an einen Erfolg des runden Tisches.“ Sie forderten neben der sofortigen Zulassung von Solidarnosc auch eine Bestandgarantie für die Leninwerft, die sich bereits in Liquidierung befindet. Nachdem in den letzten Tagen britische Reedereien Interesse an Auftragsvergaben an die Lenin-Werft erkenen ließen, ist die Hoffnung in Danzig wieder gestiegen.

Zu Streiks ist es darüber hinaus auch in einem Textilbetrieb in Lodz gekommen sowie zu Ausständen im Nahverkehr von Starachowice, Piotrkow Tribunalski und Sieradz. In Stettin nahmen die Busfahrer die Arbeit nach kurzem Ausstand auf Aufforderung von Solidarnosc -Funktionären wieder auf. Auch in Laziska bei Katowice wird wieder gearbeitet, nachdem die Betriebsleitung den dortigen Stahlarbeitern eine wohlwollende Prüfung von Lohnerhöhungen zugesagt hat. Nach Agenturmeldungen handelt es sich bei den Ausständen vorwiegend um wilde Streiks, die auf die schlechte Versorgungslage und die neuerlichen Preiserhöhungen zurückzuführen sind. In Piotrkow Trybunalski haben zunächst Strukturen der OPZZ den Streik ausgerufen, erst später wurden auch drei Solidarnosc-Vertreter in das Streikkomitee aufgenommen. Sowohl Arbeiterführer Lech Walesa als auch OPZZ-Chef Alfred Miodowicz hatten dazu aufgerufen, nicht zu streiken. Dennoch hat die zu den OPZZ gehörende Transportarbeitergewerkschaft für Freitag zu einer landesweiten Demonstration für höhere Löhne aufgerufen. Der stellvertretende Vorsitzende Jozef Drukier auf die Frage, ob ein Streik ausgerufen werde: „Sie werden's ja auch den Straßen sehen.“