Das ist unsere Welt der Sünde

■ Über die gemeinen Auswege der Demut gegen die Gewalt der Predigt

„Unser Lieben Frauen“ ist ein Kirchenschiff nach protestantisch-norddeutschem Geschmack: Außer den bunten Fenstern ist der Raum schlicht gehalten. Kaum ein barockes Schmuckwerk stört, gewaltige rote Backstein-Streben trennen die Kirchenschiffe und halten die Deckengewölbe. An einer der Säulen hängt in einigen Metern Höhe die in wuchtig -dunkle Kanzel, unter der sich die Gemeinde versammelt.

In diesen Kirchenraum hinein blies das „Bremer Bläserensemble“ gestern „Eine kleine Festmusik“ zu seinem eigenen 20. Geburtstag; die vierzehn Blechbläser auch nur auf einen Takt zu bekommen, bedarf es eines energischen Dirigentenstockes. Aus den Kirchenschiffen kommt der Klang vielfältig reflektiert zurück, ein wenig mächtiger vielleicht als das dem Hörgenuß gut tut. Auch die Gemeindelieder („Herr, wenn ich nur Dich habe...“) begleitet der Bläser-Chor, allerdings so übermächtig, daß die Gemeinde weitgehend verstummt.

Um dieses stumme Aufschauen ging es auch in der Predigt, zu der der Pfarrer auf seine Kanzel hochstieg. Jesus blamiert im Bibeltext aus dem 8. Kapitel des Johannes-Evangeliums seine Jünger, die IHN erst „am Kreuz erhöhen“. Der Predigttext, vom Blatt abgelesen und mehr ins Kirchenschiff als zu den Leuten unten in den Bank-Reihen gesprochen, stößt die Gemeinde von „Unser Lieben Frauen“ auf die erforderliche Scham. Kein irdischer Ausweg scheint offenzustehen, der Prediger hoch oben an der Säule beschreibt die Welt der Sünde unten: „Wir glauben nur an uns.“ Gentechnik, „Energie der Uranspaltung“, Sicherheit des Lebens - drei Stichworte aktueller Zivilisations-Kritik suggerieren für einen Moment Konkretion, dann erhebt sich die Predigt wieder ins Grundsätzliche: „Das ist unsere Welt, die Welt des Glaubens an uns, an unser Wollen und unser Können. Das ist die Welt der Sünde, wir bringen Jesus ans Kreuz mit unserem Wollen und Können.“ Und keinen Ausweg gibt es, jedenfalls keinen für unsere Vernunft, keinen am Glauben an das Kreuz vorbei dort erst kommt dann der „Friede Gottes“ zu seinem Einsatz. Diese Sphäre, die sonntags für eine Stunde wahr sein und gelten soll, scheint hermetisch gegen das Leben der Gemeindemitglieder abgeschlossen. Nur in den Kollekten darf die Gemeinde zeigen, daß sie doch ein Gutes in sich birgt. In eine Art Apfelpflücker mit Samtsäckchen sammeln Gemeinde -Älteste Groschen, Markstücke und kleine Scheine für Bibeln, mit denen die evangelischen Gemeinden in Sibirien ihre neuen religiösen Freiheiten praktizieren wollen. Am Ausgang wird gegeben für „Brot für die Welt“ und für die Christen in der DDR und Osteuropa, also im Grunde für die ganze arme Welt um uns herum.

Klaus Wolschner