Flughafenausbau ist rechtswidrig

■ Vertrauliches Rechtsgutachten der niedersächsischen Gemeinde Stuhr weist gravierende Fehler im Planfeststellungsverfahren nach / Klage könnte Ausbau über Jahre verzögern / Heute Bürgerversammlung

Ab Ende 1990 sollen nach den Plänen des Senats die Flügel des neuen „Airbus 340“ vom Bremer MBB-Werk auf der um 600 Meter verlängerten Startbahn zur Montage nach Toulouse geflogen werden. Doch wenn die schon jetzt lärmgeplagte niedersächsische Nachbargemeinde Stuhr dies nicht will, kann sie einen Strich durch den Plan machen. So jedenfalls geht es aus dem Rechts-Gutachten hervor, das der Freiburger Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Siegfried de Witt, im Auftrag der Gemeinde erstellt hat. „Die Gemeinde Stuhr (wäre) in der Lage, das Planungsvorhaben zumindest erheblich so zu stören, daß die Zeitplanung nicht eingehalten werden kann“, lautet das

Resumee des 77 Seiten dicken Gutachtens.

Ob der Stuhrer Gemeindedirektor Hermann Rendigs mit diesem juristischen Pfund allerdings in den Verhandlungen mit Bremen wirklich wuchern will, ist noch nicht entschieden. Das Freiburger Rechtsgutachten, das der taz vorliegt, wird von den Auftraggebern nämlich bislang „streng vertraulich“ unter Verschluß gehalten. Wenn heute abend ab 20 Uhr im Stuhrer Rathaus auf einer Bürgerversammlung über Flughafenausbau diskutiert wird, sollten eigentlich „nur einige Aspekte des Gutachtens einfließen“, hatte die Gemeinde auf Anfrage noch am Freitag mitgeteilt.

Dabei könnte der Freiburger Jurist, der heute abend neben Flughafendirektor Ernst, einem Vertreter des Verkehrs -Senators und dem Gemeinde-Direktor Rendigs auf dem Podium sitzen wird, den GegnerInnen der Flughafenerweiterung viel Mut machen. Schon der erste Planfeststellungsbeschluß in dieser Sache, mit dem am 30.9.88 die Verlegung der Ochtum festgeschrieben wurde, ist seiner Überzeugung nach schlicht „rechtswidrig“. Nicht nur blieben die Lärmschutzmaßnahmen „hinter dem rechtlich Gebotenen zurück“, auch das „Abwägungsgebot“ sei bei der Ochtum-Verlegung verletzt worden. Denn schließlich hätte sich die volle

Nutzbarmachung der Startbahn auf 2.034 Meter auch durch eine Verlängerung nach Osten erreichen lassen - eine Variante, die nicht geprüft worden war. Axel Adamietz, der für einen Stuhrer Anwohner noch vor dem Lüneburger Oberverwaltungsgericht gegen die Planfeststellung klagt, wird die juristischen Gründe des Freiburger Kollegen mit Interesse lesen.

Ähnlich vernichtend ist de Witts Urteil auch für die vom Bremer Verkehrssenator vorgelegten Anträge auf Änderung der luftrechtlichen Genehmigung sowie eine Änderungsplanfeststellung zur Verlängerung der Startbahn um je 300 Meter nach Westen und nach Osten, um am Ende 2.634 Meter Rollbahn für den Airbus-Flügel-Abtransport zur Verfügung zu haben. „Beide Anträge (sind) unbegründet und rechtswidrig“, schreibt der Freiburger Anwalt. Zudem könne eine Nutzungseinschränkung der neuen Piste allein auf den MBB-Werksverkehr - wie sie von Bürgermeister und Verkehrssenator versprochen worden war - „nicht gesichert werden“.

Das hat auch schon die Lufthansa gemerkt. Sie hat schon jetzt ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem geklärt werden

soll, wie die Lufthansa für ihre Verkehrsflugzeuge ebenfalls ein Nutzungsrecht der verlängerten Rollbahn erklagen kann.

Doch trotz der im Freiburger Gutachten vorhergesagten „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“, mit der eine Klage gegen den Flughafenausbau Erfolg haben würde, empfiehlt es der Gemeinde Stuhr einen anderen Weg. „Eine vertragliche Regelung kann hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahmen derzeit wie zukünftig mehr bringen als ein verwaltungsgerichtliches Urteil“, schreibt de Witt und ergänzt: „Das hängt natürlich vom Ergebnis der Vertragsverhandlung ab.“ Der von Senator Kunick bereits vorgelegte Vertragsentwurf jedenfalls sei einfach „wertlos“. „Es bleibt zu hoffen, daß aus diesem Text nicht die fehlende Bereitschaft zu einer gütlichen Lösung zu schließen ist“, schreibt de Witt abschließend an die Adresse des Bremer Senats.

Die Verhandlungen zwischen Bremen und Stuhr haben bislang unter völligem Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden. Bei Kenntnis des Freiburger Rechtsgutachtens könnten zumindest die fluglärmgeplagten Nachbarn der geplanten Piste auf ihrer Beteiligung bestehen.

Dirk Asendorpf