ALTE MUSIK GEGEN ATOMKRIEG

■ IPPNW-Benefizkonzert in der Staatsbibliothek

Die Musik, die Sie heute abend hören, gilt den Opfern unserer Zivilisation!“ - Thomas von Brück, Arzt und Vertreter der „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“ (IPPNW - Ärzte gegen Atomkrieg) richtet ein eindringliches Grußwort ans Auditorium. Der Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek ist an diesem Freitag abend fast ausverkauft. Ein Benefizkonzert für die Opfer der atomaren Barbarei wird gegeben, gespielt von der „Akademie für Alte Musik Berlin“, einem jungen Ensemble aus der Hauptstadt der DDR, und dem „Trompeten Consort Friedemann Immer“. - Der Begrüßende hat mit der knochentrockenen Luft offensichtlich ähnliche Schwierigkeiten wie nach ihm die Spielenden. Räuspernd appeliert er ans schlechte Gewissen der einzelnen, denn Solidarität beginne mit dem verantwortlichen umweltbewußten Verhalten aller. Tschernobyl, natürlich, bleibt nicht unerwähnt. Dort habe der irrationale Wahnsinn eine deutliche Warnung hinterlassen. Und: „Die Geschichte hat erwiesen, daß der homo sapiens alle Waffen, die er konstruiert auch einsetzt.“ Wie wahr. Daß das alles nicht neu ist, macht es nur noch schlimmer!

Die Musik hingegen klingt seltsam wohltuend, aber als sollte der Gegensatz mitgehört werden, bleibt der Zusammenklang zunächst ein wenig spröde. Die Akustik ist wirklich staubtrocken; die Instrumente klingen, zumal es alte, historische sind, vereinzelt und hart. Aber das vergesse ich bald: Die MusikerInnen spielen so engagiert, sie kommunizieren da in Tönen und Klängen, daß schon das Zuschauen ungeheuren Spaß macht. Alte Musik, das sind diesmal Konzerte, Sonaten und Suiten von Telemann, Biber, Torelli und J.S. Bach, Werke also aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Die „Akademie„-MusikerInnen sind bestens aufeinander eingespielt, ihre Interpretation ist radikal und eigenwillig. In den zum Teil unbekannten und unveröffentlichten Stücken, die sie aus Bibliothekshandschriften ausgraben, wechseln sie sich mit der Besetzung der führenden Stimmen in Geigen und Bratschen ab. Entsprechend unterschiedlich klingt die Auslegung der Musik. Eine musikalische Leitung beim Erarbeiten gibt es nicht; alle sind gleichermaßen gefragt, ob es um die Zusammenstellung des Repertoires, spieltechnische Probleme oder Interpretationen geht. Noch spielend - die Musik verlangt es - diskutieren sie! Die Naturtonbläser vom „Trompeten Consort“ haben es schwer. Sie formulieren die Tonhöhe ausschließlich mit Ansatz und Blasstärke, ohne Ventile. Einmal geht es - buchstäblich - schief.

Verdutzte Blicke beim allzu bekannten letzten Satz der h -moll-Suite für Traversflöte und Streicher von Bach: Was wir aus der Konserve als schnellem Rausschmeißer gewohnt sind, spielt die „Akademie“ getragen und zäh. Die Überraschung ist gelungen: Sie befremdet das Eingefahrene.

Als letztes Stück musizieren sie Telemanns „Tragikomische Suite“ (D-Dur) für die volle Besetzung, inklusive Pauken und Trompeten. Es ist eine Art vorweggenomme Programm-Musik, wo jeder Satz einen bestimmten Krankheitscharakter darstellt (zum Beispiel den „Gichtgeplagten“), dem jeweils ein vertontes Therapierezept (zum Beispiel „Erprobtes Heilmittel, Postfahrt und Tanz“) folgt. Mit wieselflinker Verständigung halten die MusikerInnen, was Telemanns Titel versprochen haben, und als der „Geck“ beschrieben ist, rasen sie in wahnwitzigem Tempo über die Saiten zum letzten Heilmittel: ins „Freudenhaus“!

Der Reinerlös dieses Konzerts soll IPPNW-Projekten und den Strahlenopfern der Atombombentests im Pazifik zukommen wenn es denn für sie noch ein Heilmittel gibt! (Spenden: IPPNW-Benefizkonzerte, Berliner Bank, BLZ 100 200 00, Kto.Nr. 4627 754 400). Das einzige „Heilmittel“ dürfte die Verhinderung der Katastrophe sein. Günther Anders in einer Botschaft an die IPPNW: “... wir haben zu siegen vor Kriegsausbruch; was nach einem Ausbruch geschähe noch einen Krieg zu nennen, das würde Schwachsinn verraten und Schwindelei beweisen...“

Übrigens: Wer mal nicht weiß, wohin mit dem Eintrittsgeld in die Hauptstadt, und wer was für alte Musik übrig und nichts gegen gute Laune hat: Die „Akademie“ hat eine Schallplatte aufgenommen - in sehr guter Akustik!

Christian Vandersee