Ein Liebesfilm

■ Barry Levinsons 'Rain Man‘ mit Dustin Hoffmann und Tom Cruise

Er guckt so. Den Kopf leicht geneigt. 'I don't know‘, sagt er immer, oder 'this ist definitely...‘ und wiederholt es meistens. Er buchstabiert Namen, erzählt immer wieder denselben Witz. Aber er lacht nicht. Wenn man ihn fragt, ob das ein Witz ist, sagt er: 'Ja‘. Ganz kurz. Alles, was er sagt, hat dieselbe Melodie. Er leiert es vor sich hin wie Frauen den Rosenkranz beten. Die Arme sind angewinkelt, manchmal kratzt er sich an den Händen. Er geht immer nur geradeaus, nie Kurven. Wie eine Maschine. Er geht wie Dustin Hoffmann. Fast.

Raymond ist krank, seine Krankheit: Autismus. Er kann keinen Kontakt aufnehmen zur Außenwelt, organisiert sein Leben in Ritualen. Essen, TV-Show, Licht ausmachen, alles auf die Minute pünktlich und bei Regen geht er nicht raus. Er stelle sich doch aber auch unter die Dusche, meint sein Bruder. 'Die Dusche ist im Badezimmer‘, sagt Dustin Hoffmann. Sein Bruder, Tom Cruise, ist das genaue Gegenteil. Smart, geschäftstüchtig, höchstens ein bißchen zu klein für die großen Nummern, die er mit seinen Autodeals abziehen will. Tom Cruise hektisch telefonierend und seine Mitarbeiter anbrüllend sieht aus wie einer, der einen dieser coolen Geschäftsmänner nachahmen will, wie man sie aus amerikanischen Spielfilmen kennt. Aber er hat nicht das Format. Genau diese Rolle hat er auch zu spielen.

Nach dem Tod des Vaters, der dem autistischen Raymond alles und dem hochverschuldeten Charlie nichts vererbt hat, lernen die Brüder sich kennen. Charlie entführt Raymond, um an die Hälfte des Erbes heranzukommen. Raymond kriegt einen Anfall, als er ins Flugzeug steigen soll, deshalb ist der Rest des Films ein Roadmovie.

Ein Zweipersonenstück. Eine Liebesgeschichte. Die erste auf diesem Festival.

Charlie interessiert sich nicht für Raymond, er will nur das Geld. Dieser kindische Alte nervt ihn, der wird schon ins Flugzeug steigen, auch wenn er nein sagt und die Unfälle der verschiedenen Fluggesellschaften auflistet, Jahr, Name, Zahl der Toten. Aber gegen Raymonds Anfall kommt Charlie nicht an. Er, der es gewöhnt ist, daß er alle herumkommandieren kann, muß zum erstenmal nachgeben. Ein Unfall auf dem Highway, Raymond geht zu Fuß weiter, sie müssen auf die Landstraße. Charlie fügt sich, ihm bleibt nichts anderes übrig.

Bis dahin ist Raymond komisch - wir lachen schallend über einen Kranken und 'Rain Man‘ eine Komödie. Danach ist es ernst. Charlie verliebt sich in seinen Bruder. Sie sind in Las Vegas, haben viel Geld in der Spielbank gemacht, denn Raymond ist ein Zahlengenie: er kann sich sechs Kartenspiele merken. In der Bar hat ihn eine Frau angesprochen. Er hat ein Rendezvous mit ihr, um zehn. Charlie nimmt es nicht ernst, aber Raymond will bis dahin noch tanzen lernen. Charlie soll es ihm beibringen. Sie bewegen sich beide langsam hin und her, Charlie legt Raymonds Hand um die seine, Raymonds Arm auf seinen Rücken. Dann sagt er, Raymond soll den Kopf heben, nicht auf die Füße schauen. Auf ihn. Sie tanzen. Das ist das Rendezvous. Charlie fragt, ob er Raymond umarmen darf. Er sagt sein kurzes 'Ja‘. Sonst darf man ihn nie anfassen. Charlie umarmt ihn. Raymond schreit und stößt ihn von sich.

Natürlich ist das ein sozialkritischer Film, einer, der auf die Situation von psychisch Kranken in Heimen aufmerksam machen will. Natürlich ist es ein Rührstück. Man weint, wie bei 'Gottes vergessene Kinder‘ über Gehörlose. Natürlich ist die Moral, daß Familien zusammenhalten müssen. Natürlich kommt überflüssigerweise auch noch eine Frau vor, Charlies Freundin, Angela Molina.

Aber das verzeihe ich ihnen gerne. Sogar die Freundin. Alleine mit Raymond hält sie den Fahrstuhl an und zeigt ihm, wie man küßt. 'Wie war es‘, fragt sie. 'Naß‘, sagt Raymond.

Christiane Peitz

Barry Levinson: Rain Man, USA 1988, 133 Min. mit Dustin Hoffman und Tom Cruise.

Gloria-Palast, 20.2. 11.15 Uhr; Urania (Humboldtsaal), 21 Uhr