Kaputte Typen und ganze Kerle

■ Vietnam - never ending (hi)story

Was soll das eigentlich noch? Das ZDF strahlte letzten Sonnabend spät einen US-Spielfilm zum Vietnamkrieg aus (Dreckige Hunde). Über RTLplus läuft zur Zeit jede Woche eine Teleplay-Serie zum Vietnamkrieg (Operation Vietnam). Hat man sich daran nicht schon längst übergesehen? Dennoch ist es nirgends zu übersehen. Signale dieses Krieges leuchten überall nach. In allem, was der Monitor, ein Display oder einfach die Röhre ist.

Die Videotheken haben laufend Neueingänge im Angebot, auch wenn nicht alles so erfolgreich zum Zuge kommt wie Platoon. Da steckt noch viel drin, auch (v)ideologisch. Weiterhin Filme im Fernsehen zu bringen, die von/in/mit Vietnam handeln, ist nicht grundlos. Nur die Gründe dafür sind nicht sofort ersichtlich. Vielleicht weil die Sicht, die jeder von diesem Krieg abgekriegt hat, längst nicht mehr als Sicht wahrgenommen wird. Was für diesen Krieg technisches Vor-Bild war, hat den Effekt unmerklicher Nachbildwirkung. Vom Personel Computer bis zum Videoclip, von der Autoarmatur bis zum Büroterminal. Der Vietnamkrieg ist ein endgültig unfertiger, definitiv grenzenloser. Das tödliche Feuer, das mit elektronischer Technologie gegen ein Land und sein Volk gezündet wurde, brennt unauslöschlich in den Medien dieser Technologie weiter.

In ihrer audiovisuellen Wahrnehmung, von der man sich aber kaum mehr ein Bild zu machen vermag. In den Disko-Lightshows sind die Blitz-, Blend- und Feuersalven verschwunden, in der elektronischen Kälte des Musikvideos das Sengen der Brandbomben. Im Deckenventilator ist der Hubschrauber abgebrochen, der allumfassende der US-Army.

Apocalypse now hat Casablanca gründlichst ausrotiert. Den ersten vollelektronisch durchströmten Krieg, der Ohren und Augen außermenschlich werden ließ wie nie zuvor, hat man mittlerweile schon unmerklich gut in der Hand. Mit der TV-Fernbedienung, mit dem Videorekorder, mit dem sich das Geschehen zum Stillstand bringen, verzögern oder beschleunigen und wiederholen läßt, mit einer Taste zum Löschen. Nach dem letzten Krieg wird manch eine Stadt weder bewohnbar noch auffindbar sein, aber aufgezeichnet. Und wenn es zutrifft, daß der Kriegsfilm der Film schlechthin ist, wird es Kriegsfilme länger als Kriege geben. Der Vietnamkrieg ist das unentrinnbare Filmsujet, weil er der Krieg der Gegenwart ist, weil er der Stoff ist, aus dem die modernen Medien der audiovisuellen Kommunikation sind. Man kann ihn nehmen wie man will. Auch als Aufhänger für Action oder Entertainment, als Anlaß für Human interest, für moralische Imperative und existentielle Bewährungsproben, zur Versöhnung oder zur Verhöhnung, aus Ressentiment oder in Solidarität. Das Fernsehen greift den Vietnamkrieg auf. Eine öffentlich-rechtliche Anstalt brachte einen Spielfilm dazu: Dreckige Hunde (Dog Soldiers). Das ist ein Film der kaputten Typen. Der Krieg hat sie kaputt gemacht. Auch das Rauschgift, das mit diesem Krieg verflucht viel gemein hat. Und auch die Kriegsberichterstattung, in der Medialität und Realität zusammenschießen.

Ein schwächlicher Fotoreporter läßt von seinem starken Freund Heroin aus Vietnam zu seiner Frau in die USA schaffen. Dort waren die Rauschgifthändlerjäger im Interesse des Gesetzes am Geschäft interessierte. Für den Freund und die Frau beginnt die Flucht mit dem Stoff bis in die Wüste, bis ins Gelände einer verlassenen Kommune, von der es noch die Scheinwerfer- und Lautsprecheranlage und das in Fels gespritzte „Fuck for peace„-Signet gibt. Der heimkehrende Reporter wird in seinem Heim grausam gefoltert, im Badewasser, auf glühendem Herd. Wie er es in Vietnam noch nicht erlebt hat. Mit ihm als Geisel spüren die Jäger den Freund auf. Der Ort früher Trips als Stätte des letzten Trips: Showdown. Er und seine Frau begraben ihn wie einen Soldaten an der Front. Getöteter Freund am Weg durch die Wüste, zwischen Bahnstrecke, Autoroute und Telegrafenleitung: Solche Linien laufen am Horizont zusammen, einem schon fast künstlichen Horizont, in den man abhebt.

Dieser US-Film ist ein Opus der Kaputtheit. Der Verstörtheit und der Zerstörung durch den Krieg. Ein Krieg, bei dem man sich nicht auf die traditionellen Werte verlassen kann, die längst verlassenen. Immerhin noch Verwertungskrieg und Kriegsverwertung für die einen, für die anderen nur noch Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis vielleicht. Der Film zeigt (Kon-)Sequenzen dessen, was high macht, high-on-war macht, kaputt macht. Kaputt ist die Welt der Freunde, nicht ihre Freundschaft.

Das ZDF hat das Werk eines Künstlers ausgestrahlt. Ein War memorial, das betroffen macht. Nach der Spätausgabe der Nachrichten, exterritorial gewissermaßen. Menschlichkeit hat ihren Sendeplatz. Aber sie hat immerhin einen, einen reservierten. Auf einen anderen Sendeplatz disponiert ein privater Kanal Vietnam. Seit Anfang des Jahres strahlt RTLplus Operation Vietnam aus. Eine US-Teleplay-Serie von 1986, immer mittwöchentlich. Es ist eine Serie ganzer Kerle. Sie alle zusammen sind wie ein ganzer Kerl: rüde und herzlich, sentimental und jovial, verwegen und überlegt.

Schwarze und Weiße, Halbwüchsige und Routiniers. Jeder mit eigenem Naturell, aber alle voll von gesundem Menschenverstand. Zum Einrahmen, zum Den-Kindern-zeigen, wie man es auf dem ganz großen Abenteuerspielplatz machte, mit den Bewährungsproben. Wie man das packt: verratenes Vertrauen, enttäuschte Hoffnung. Die inneren Kämpfe, die einen zerreißen, fast. Das handelt von Männern, die immer wieder ihren Mann stellen müssen. Probleme hat jeder. Wie in einer Familie. Wie in einer Familienserie im Fernsehen. Die Serie hat ihren hervorragenden Sendeplatz, zu einer Zeit, zu der man als eingeschworener Zuschauer die Hauptnachrichtensendung gewohnt ist. In der Wohnung, in die das Fernsehen diesen Krieg als ersten tagtäglich brachte. RTLplus reproduziert ein solches Fernsehen ganz. Was die ganzen Kerle auf dem Bildschirm zerreißt, ist Werbung. Sie platzt mitten in das Geschehen hinein. Das ist dokumentarisches Fernsehen. Es dokumentiert das Fernsehen: Eine Serie über den Vietnamkrieg, stellvertretend für die Hauptnachrichtensendung plaziert. Mit ganzen Kerlen, die der Krieg nur mal kurz vom Fernseher weggeholt hat, die aber gut im Fernsehen zu sehen sind. Ein- und ausgeleitet wird das mit Trailer-Verschnittbildern (ein jeder mit einem Gesicht), im Takt der Rolling Stones.

Und ab und zu ist vorneweg für den Zuschauer auch noch ein Spielchen drin. Dabei kann er mit Telefonanschluß und schnellem Sehen kurzum zu Geld kommen, wenn er mitkriegt, wo der Mann die Kugel versteckt, der wohl aus der Prohibition importierte Spieler vom Sender, der einen so direkt verführerisch anmacht.

Bei RTLplus kommt der Vietnamkrieg im Fernsehen als Fernsehen. Das ist die wahnsinnig gewordene Authentizität. Originaltreue bis in den Tod. Mit den ganzen Kerlen, unbändig kommerziell, spielerisch, kameradschaftlich. Zuschauernah. RTLplus ist so frei. Da hat das Medium die Message voll im Griff, ist wahrlich ihre Massage.

Erwin Reiss

Teleplay-Serie Operation Vietnam, Zev Braun Production und New World International, USA 1986, Idee von L. Travis Clark und Steve Duncan, wechselnde Regie, mit Terence Knox, Stephen Caffrey, Keven Conroy, Stan Foster u.a., 20 Folgen, ausgestrahlt von RTLplus, mittwochs 20.10-21.05 Uhr