„Die AL muß ihre Haltung zum Gewaltmonopol klären“

■ Interview mit Ingrid Stahmer, stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und Mitglied der Verhandlungskommission

taz: Wie verlief denn die Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands, deren Ergebnis die Aussetzung der Gespräche mit der AL waren?

Ingrid Stahmer: Das richtige Wort für die Reaktionen ist wohl „erschrocken“. Erschrocken darüber, daß die an sich sachgerecht gelaufenen Gespräche durch solche Äußerungen aus Bonn in den Bereich des Unmöglichen kommen. Alle hatten das Gefühl, daß bei den Sachgesprächen in den Unterkommissionen viele Punkte einer gemeinsamen neuen Politik auf den Weg gebracht werden konnten, daß es gute Möglichkeiten zur verantwortlichen Verbesserung der Politik in Berlin gebe. Deshalb ist diese Mitteilung aus Bonn auch so enttäuschend.

Konnten Sie nicht vorher mit solchen Störfeuern rechnen? Welche Einschätzung von der AL hatten Sie denn?

Die Einschätzung war die, daß die AL ernsthaft politik- und regierungsfähig sein will, daß sie sich darüber im klaren ist, wenn sie Essential-Papiere akzeptiert, was sie unterschrieben hat. Wir haben natürlich immer gesagt, mal sehen, ob die Basis das mitträgt.

Welche Art von Erklärungen erwarten Sie denn jetzt von den Alternativen?

Die AL hat offensichtlich Klärungsbedarf zum staatlichen Gewaltmonopol.

Diesen Eiertanz gibt es bei der AL doch schon seit Jahren.

In dem Papier steht ja nichts anderes drin, als daß nur der Staat Zwang ausüben darf. In dem Papier wurde auf dem Begriff „Gewaltmonopol“ als solcher verzichtet, weil er für die AL ein solches Schreckgespenst ist. Wenn man diesen Bedingungen nicht zustimmen kann, kann man das Papier nicht akzeptieren. Ich kann nicht hingehen und sagen, ich vertrete das Papier, aber Gewalt im außerparlamentarischen Raum akzeptieren wir nach wie vor. Wir haben ja bei den Verhandlungen nicht beabsichtigt, daß die AL vom Programm abrücken soll. Sie muß aber erklären, daß unmittelbarer Zwang, also Gewalt, nur vom Staat ausgehen kann.

Sind denn Frau Arkenstette und Herr Wolf für sie als Verhandlungspartner noch vertrauenswürdig?

Das kann ich nicht entscheiden. Ich kann sagen, daß es schwierig ist. Es hat ja auch keinen Zweck, mit anderen Partnern zu reden, wenn die wieder das gleiche erklären. Deshalb setzen wir die Gespräche bis nach dem Delegiertenrat aus. Die AL muß sich als Gesamtpartei äußern.

Es wird behauptet, das Papier sei ein Diktat der SPD gewesen. Sehen Sie das auch so?

Es ist ganz gewiß kein Diktat gewesen. Es ist eine Grundvoraussetzung, die bei uns nicht erst jetzt erfunden wurde, sondern bereits 1983 festgelegt wurde über die Zusammenarbeit mit der AL. Daß es zusammen mit der AL aufgeschrieben wurde, macht deutlich, daß es kein Diktat der SPD war. Um so mehr muß es jetzt auch eingehalten werden.

Wie ist denn jetzt die innerparteiliche Stimmung bei der SPD?

Das wird sehr stark von der Politik abhängen, die man machen kann. Wenn die Sozialdemokraten das, was sie an neuer Politik machen wollen, mit der AL machen können, dann wird die Übereinstimmung in den Gremien groß sein. Bei den Bürgern muß sie erst noch durch eine gemeinsame neue Politik geschaffen werden.

Was sagt man in Bonn bei der SPD zu Rot-Grün in Berlin? Sind die Meinungen darüber geteilt?

Überall gibt es durchaus geteilte Meinungen. Die einen sagen, wenn wir mit der AL zusammengehen, wollen sie nichts mehr mit uns zu tun haben, die anderen sagen das gleiche in bezug auf die CDU. Die Äußerungen von AL-Seite verstärken die Schwierigkeiten, weil viele sowieso gesagt haben, die unterschreiben das Papier und machen es dann doch nicht. Jetzt ist die AL dran. Wenn sie jetzt diese Klärung nicht herbeiführt und damit ihre Glaubwürdigkeit beweist, dann können wir die rot-grünen Träume vorerst begraben.

Es gab ja bereits in der letzten Woche Äußerungen von ALern wie z.B. die von Harald Wolf in einem taz-Gespräch, die eher auf eine Tolerierung hinauslaufen. Wird das von Ihnen überhaupt noch als letzte Möglichkeit diskutiert? Oder sagen sie Koalition oder gar nichts?

Es ist diskutiert worden. Uns gibt aber nur eine Koalition die notwendige Sicherheit für vier Jahre. Bei einer möglichen Tolerierung müßten die Gespräche ganz anders geführt werden. Bei einer Tolerierung legt der, der toleriert werden will, sein Programm vor, und die anderen sagen, ob sie es tolerieren oder nicht. Es wäre nicht erforderlich, zwölf Fachkommissionen einzurichten, die versuchen, die einzelnen Programmpunkte in eine gemeinsame Erklärung zu bringen. Sonst würde das ja bedeuten, daß die SPD die Verantwortung auch für die AL-Punkte mit übernehmen müßte.

Würde sich die SPD denn überhaupt auf eine Tolerierung einlassen, wenn bei der AL z.B. die Gewaltfrage nicht geklärt ist?

Das halte ich für sehr schwierig. Das wird erst nach der Erklärung des Delegiertenrats in der Partei enschieden werden können.

Interview: mtm/RiHe