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Bonn wird zur Entscheidung gebeten

Deutsch-britischer Gipfel berät über Europa und Abrüstung / Hauptthema: Nato-Gesamtkonzept zur Rüstungskontrolle und Modernisierung nuklearer Kurzstreckenwaffen / Nato-Modernisierung: Der Spielraum für Formelkompromisse wird immer enger  ■  Von Andreas Zumach

„Atomwaffen 'up to date halten'“, so Margret Thatcher kurz und bündig, heißt auf deutsch nichts anderes als 'modernisieren‘.“ Im Nebenraum verkauften Kohl und Genscher zur gleichen Stunde den nach nächtelangem Feilschen mit den Briten gefundenen Formelkompromiß als ihren „Sieg“, da es gelungen sei, den Begriff „Modernisierung“ im Schlußkommunique zu vermeiden. Das war beim letzten Nato -Gipfel Anfang März '88 in Brüssel.

Mit einem ähnlich interpretationsfähigen Formelkompromiß dürfte sich die britische Premierministerin bei ihrer gestern begonnenen Frankfurter Konsultation mit dem Bundeskanzler nicht mehr zufrieden geben. Deutlicher noch als Washington hat London in den letzten zwölf Monaten intern wie öffentlich immer wieder auf der programmgemäßen Erfüllung der 1983 in Montebello beschlossenen „Modernisierung“ bestanden und von Bonn entsprechende Festlegungen verlangt. Bis heute ist Thatcher auch bei ihrer damals in Brüssel formulierten Haltung geblieben, mit der Sowjetunion Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen, wenn überhaupt, „erst nach Ergebnissen bei den Genfer Chemiewaffen- und den Wiener konventionellen Rüstungskontrollverhandlungen aufzunehmen“.

Diese Position teilt auch die Bush-Administration. Zumindest gibt es - entgegen anderslautenden Meldungen während des Westeuropabesuchs von US-Außenminister Baker in der letzten Woche - bislang keine Zusage Washingtons für Kurzstreckenverhandlungen, falls Bonn zuvor der „Modernisierung“ zustimmt. Die Bush-Administration braucht ein „Modernisierungs„votum der Allianz beim diesjährigen Nato-Gipfel Ende Mai in Brüssel, um im US-Kongreß Haushaltsmittel für die jetzt anstehende zweite Entwicklungsphase der neuen Atomwaffen lockerzumachen.

Die Regierung Thatcher hat andere innenpolitische Probleme. Vor allem auf britischen Luftwaffenbasen stationierte Flugzeuge sollen im Zuge der „Modernisierung“ mit atomaren Abstandsraketen ausgerüstet werden. Zwar rühmt sich Thatcher, in den letzten Jahren mehrfach innenpolitisch unpopuläre Entscheidungen auch kurz vor wichtigen Wahlen relativ unbeschadet durchgezogen zu haben. In dieser Hinsicht hält sie Kohl für einen Schwächling. Doch eine „Modernisierungs„entscheidung, bei der die vor allem von der Stationierung neuer landgestützter atomarer Kurzstreckenraketen betroffene Bundesrepublik ausschert oder auch nur Vorbehalte macht, stärkte auch in Großbritannien den Widerspruch gegen die neue Aufrüstung. Zwar weit weniger als in der Bundesrepublik, existiert auch auf der Insel noch eine Friedensbewegung, und die Auseinandersetzungen um die nach dem Nato-Doppelbeschluß von 1979 stationierten Cruise Missiles sind nicht vergessen. Der Doppelbeschluß wurde damals bündnisintern durch massiven Druck der bundesdeutschen Regierung Schmidt gegen die kleineren Nato -Staaten durchgesetzt.

Die zentrale Rolle der Bundesrepublik wird auch diesmal wieder deutlich. Das - nicht aus prinzipieller Abrüstungsbereitschaft, sondern durch Rücksicht auf die Wahlen 1990 bedingte - Zögern Kohls in der „Modernisierungs„frage hat inzwischen auch in anderen Nato -Hauptstädten zu leisem Widerspruch ermutigt, wie die Baker -Reise deutlich machte. Bis auf die Regierung Papandreou die allerdings bei den Wahlen im Juni möglicherweise von den in dieser Frage auf der US-Linie liegenden griechischen Konservativen abgelöst wird - sprach sich jedoch kein Nato -Staat klar gegen jegliche „Modernisierung“ und für eine „Null-Lösung“ bei den atomaren Kurzstreckenraketen aus. Dänen und Norweger warnten vor Druck auf Bonn. Belgien wiederholte seine bereits beim Treffen der Nato -Verteidigungsminister Ende Oktober gemachten Vorbehalte. Einzig die Türkei votierte, auf mehr Unterstützung aus Washington und London im Zypern-Konflikt mit Griechenland schielend, für die „Modernisierung“. Die überraschendste Nachricht kam aus den Niederlanden. Deren Verteidigungsminister Bolkestein hatte sich bei allen Nato -Tagungen der letzten zwölf Monate entschieden für die „Modernisierung“ ausgesprochen und noch auf dem Münchner Wehrkundetreffen Ende Januar unter Berufung auf eine „völlig geschlossene Haltung des ganzen niederländischen Parlaments“ die zögerliche Haltung Bonns hart kritisiert. Bedenken äußerten jetzt der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses sowie Außenminister van den Broek.

„Aufrechterhalten von Optionen“, „neuer Doppelbeschluß“, „Auseinanderzerren von Entscheidungen über Entwicklung, Produktion und Stationierung der neuen Atomwaffen“ - der Spielraum für Formelkompromisse zur Täuschung des bundesdeutschen Wahlvolkes über die de facto weiter betriebene „Modernisierung“ ist zwar enger als noch vor zwölf Monaten, aber nach wie vor vorhanden. Verhindert werden kann die neue Aufrüstungsrunde nur durch Einlegen eines „formellen Vetos“ in den Nato-Gremien, wie es SPD, Grüne und Friedensbewegung von der Bonner Regierung verlangen.

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