Der selbsternannte Richter isoliert sich

■ Von Khomeinis Mordbefehl gegen den Autor Salman Rushdie distanziert sich auch die arabische Welt

Nicht nur gegenüber der Europäischen Gemeinschaft, zu der er gute Wirtschaftsbeziehungen braucht und die jetzt aus Protest ihre Botschafter aus dem Iran zurückzieht, hat Revolutionsführer Khomeini ein Eigentor geschossen. Auch seine Rechnung, sich als religiöser Führer in der gesamten islamischen Welt zu profilieren, ist bisher nicht aufgegangen. Nagib Mahfouz, Ägyptens Nobelpreisträger für Literatur, nannte den Mordbefehl gar einen „Akt des Terrorismus“.

„Selbst wenn Salman Rushdie bereut und der frömmste Mann aller Zeiten wird, obliegt es jedem Moslem, sein Leben, sein Vermögen und alles daranzusetzten, ihn in die Hölle zu schicken.“ Mit diesen Worten bekräftigte Revolutionsführer Khomeini am Sonntag seinen Mordbefehl gegen Salman Rushdie und wischte alle Hoffnungen vom Tisch, die iranische Führung werde einlenken, nachdem der Autor öffentlich sein Bedauern wegen der „verletzten Gefühle aufrichtiger Moslems“ geäußert hatte.

„Die imperialistischen Massenmedien haben fälschlich behauptet, daß Verantwortliche der Islamischen Republik erklärt hätten, die Hinrichtungsorder gegen ihn werde aufgehoben, wenn der Autor der Satanischen Verse Reue bekundet. Ich demetiere das hundertprozentig“, sagte Khomeini in Anspielung auf eine Äußerung des iranischen Staatspräsidenten Ali Khamenei vom Freitag. Er fügte hinzu, auch ein Nicht-Moslem habe ein „Recht auf Belohnung“, falls er die Fatwa, das religiöse Dekret, schneller als ein Moslem vollziehen könne. Das im Iran ausgesetzte Kopfgeld beträgt für einen Moslem umgerechnet 9,2 Millionen Mark, für einen Andersgläubugen 1,8 Millionen Mark.

Nach islamischer Tradition ist eine Fatwa ein Dekret eines hohen religiösen Würdenträgers, in dem eine Frage von allgemeinem Interesse beantwortet wird. Im vergangenen Jahr sorgten vor allem zwei solcher Dekrete Khomeinis für Aufsehen, mit denen nicht-religiöse Musik sowie das Schachspiel im Iran zugelassen wurden. Es besteht für die Gläubigen allerdings kein Zwang, einer Fatwa Folge zu leisten, sie hat nur empfehlenden Charakter.

In den arabischen Staaten, die (im Gegensatz zum schiitischen Iran) fast alle der sunnitischen Glaubensströmung des Islam angehören) stieß der Mordbefehl Khomeinis unter Schriftstellern und Intellektuellen auf taube Ohren. Zwar wird Khomeini durchaus das Recht zugestanden, die Satanischen Verse zu verdammen - nicht jedoch, zur Exekution des Autors aufzurufen.

Der ägyptische Nobelpreisträger Nagib Mahfouz ging einen Schritt weiter und bezeichnete Khomeinis Mordbefehl gegen Rushdie als einen Akt des Terrorismus. Er richte sich „gegen die „Menschlichkeit und den Islam, weil er dem Ruf des Islam und der Moslems in der zivilisierten Welt schadet“. Auf Unbehagen stößt auch der verbreitete Eindruck, im Iran werde eine religiöse Frage zu einem Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung umfunktioniert.

In der Tat fallen die Dekrete Khomeinis zu Rushdie in eine Phase erbitterter Kontroversen im Iran über den weiteren Verlauf der Revolution nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg und der jüngst eingeleiteten Öffnung zum Westen. In früheren Streitfällen hat der Revolutionsführer mit seinen Äußerungen mal die sogenannten Radikalen, mal die eher pragmatischen Revolutionäre gefördert, um zu vermeiden, daß eine der Richtungen zu stark wird. In letzter Zeit waren die Pragmatiker, wie Parlamentspräsident Haschemi Rafsanjani, auf dem Vormarsch. Rafsanjani hat Rushdies Buch zwar kritisiert, sich zu Khomeinis Mordaufruf jedoch nicht öffentlich geäußert.

Rafsanjanis Widersacher haben schon des öfteren mit allen Mitteln versucht, seinen Kurs zu torpedieren. Heute, zehn Jahre nach dem Sturz des Schahs, muß in diesen Kreisen das Gefühl herrschen, daß es nun um alles oder nichts geht. Die Tatsache, daß Rushdie zu einem „Fall“ geworden ist, ist ohne den Hintergrund der internen Auseinandersetzungen im Iran nicht zu verstehen.

Aber die Kontroverse hat auch mit der Person Khomeinis und seiner Rolle als religiöser Führer zu tun. Das jüngsten Dekret, das Rushdie „in die Hölle“ schicken möchte, weckt Erinnerungen daran, wie Khomeini zu früheren Gelegenheiten den irakischen Staatschefs und Kriegsgegner Saddam Hussein „gewürdigt“ hat. Mit dem Akzeptieren der Waffenstillstandsresulotion, von der Khomeini damals sagte, sie sei für ihn „tödlicher als Gift“, sind die Zeiten des Revolutionsexports erst einmal vorbei. Die Parole „Krieg, Krieg bis zum Sieg“ - also Sturz des irakischen Diktators und Etablierung einer Islamischen Republik im Nachbarland wird heute von Slogans für den Wiederaufbau des Landes ersetzt.

Nach dem politischen Gesichtsverlust durch seine Kehrtwendung um 180 Grad in der Kriegsfrage versucht Khomeini nun, auf religiösem Terrain Boden zurückzugewinnen, und zwar nicht nur unter den Schiiten, sondern in der islamischen Gemeinschaft insgesamt. Nicht zuletzt der Golfkrieg hat den Graben zwischen den Sunniten (zu denen die Iraker gehören) und Schiiten vertieft. So steckt hinter der Rushdie-Affäre auch der Versuch, den Iran nicht gen Westen zu öffnen, sondern in Richtung auf die Moslems in aller Welt, sei es gegenüber den arabischen oder asiatischen Staaten oder der Türkei.

Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich. Auch die Fundamentalisten, die aus rein religiösen Gründen zunächst gegen die Satanischen Verse protestiert hatten, sind mit den Mordaufrufen des Schiiten-Führers Khomeini und der Vermischung von Religion und Politik nicht notwendigerweise glücklich. Das gleiche gilt für die arabischen Staaten, namentlich die, in denen große schiitische Minderheiten leben.

Und im Iran selbst werden die Kosten angesichts des anstehenden Wiederaufbaus und der enormen sozialen Probleme hoch sein. Die Bemühungen um die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zu westlichen Ländern sind bereits ins Stocken geraten. Weitaus entscheidener sind jedoch die Wirtschaftsbeziehungen zu den europäischen Ländern, die jedoch bereits die jüngste Hinrichtungswelle im Iran gut überstanden haben. Dennoch ist es nicht auszuschließen, daß ungeachtet des Verdikts von Khomeini in Teheran das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen ist. Man kann nur hoffen, daß Khomeinis Umdenken diesmal schneller kommt als im Golfkrieg.

Beate Seel