Multikulturell - was ist das?

■ Eine Diskussionsveranstaltung im Nachbarschaftsheim Urbanstraße brachte wenig Klarheit / Die Ausländerbeauftragte Barbara John plädierte für ein modernes Einbürgerungsgesetz bei Tolerierung einer doppelten Staatsangehörigkeit

Alle paar Jahre bringt die Ausländerpolitik einen neuen Begriff hervor. Vor Jahren forderte man die Anpassung der Arbeitsmigranten. Später sprach man ein wenig moderater von „Integration“. Die Ausländerbeauftragte Barbara John führte schließlich das Stichwort „Eingliederung“ ein. Neuerdings ist die „multikulturelle Gesellschaft“ in aller Munde.

„Multikulturell“ - das klingt gut! Aber was ist das? Auf einer Podiumsdiskussion im Nachbarschaftsheim Urbanstraße sollten der SPD-Ausländersprecher Eckhardt Barthel, die CDU -Ausländerbeauftragte Barbara John, der AL -Ausländerbereichsmitarbeiter Götz Schwarzrock und der FDP -Staatssekretär Jürgen Dittberner darauf eine Antwort geben. Doch offenbar wußten die geladenen Politiker, vor allem diejenigen, die stets die multikulturelle Gesellschaft heraufbeschwören, selber nicht, was sie darunter verstehen. Sonst wären sie nicht die ganze Zeit in schwammigen Floskeln stecken geblieben.

Mit „politischer Gleichberechtigung“ und der „Möglichkeit der Wahrung der eigenen Identität“ umriß Barthel den multikulturellen Gesellschaftsentwurf. Schwarzrock betonte, daß die AL bereits von der Existenz einer multikulturellen Gesellschaft ausgehe. Die Partei kämpfe um den „Ausbau“ einer „multikulturellen demokratischen Gesellschaft“. Das Attribut „demokratisch“ umschrieb er mit „politischer, ökonomischer und sozialer Gleichheit“ - freilich ebenfalls ohne konkreter zu werden.

Bruch zwischen Tradition und Moderne

„Multikulturell“ ist eine typische Wortschöpfung deutscher Soziologen und hat den gleichen Heiligenschein wie „antirassistisch“ oder „links“. Dabei bleiben jede Menge Fragen und Zweifel ungeklärt. Ist Multikulturalität tatsächlich ein gleichberechtigtes Nebeneinander verschiedener Identitäten? Oder verbirgt sich dahinter nicht vielmehr ein befriedetes Klassengefälle zwischen ausländischen Arbeitern und deutschen Chefs?

Ist das Festhalten an der eigenen Identität nicht ein Zeichen von Monokulturalität und wie verhält sich das mit der „multikulturellen Gesellschaft“? Ist „multikuturell“ wirklich das Schlüsselwort für verschiedene selbstbestimmte Identitäten, oder steckt dahinter nicht die Forderung, daß sich alle ein wenig anpassen müssen? Geht es überhaupt um verschiedene Kulturen oder nicht vielmehr um einen Bruch zwischen Tradition und Moderne?

Die Definitionen bemessen sich an den konkreten Beispielen. Wie steht die Linke zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an den Schulen? Was würde sie für den ausländischen Mittelstand tun, der es aus eigener Kraft geschafft hat, eine selbständige Position in dieser Gesellschaft zu finden. Wie ernst nimmt sie den Vorwurf, mit ihrem sozialen Engagement würde sie die Immigranten meist wie Unmündige behandeln und bevormunden? Wie gehen feministische Frauen mit islamisch-orthodoxen Frauen um?

Leider war Barbara John an dem Abend die einzige, die konkreter wurde. Sie aber lehnt den Begriff „multikulturell“ als politischen Ansatz ab, weil er ihrer Meinung nach die Wirklichkeit nicht treffe. In der Bundesrepublik stehe eine Minderheit von sieben Prozent Ausländern einer Mehrheit von 93 Prozent Deutschen gegenüber. „Die Deutschen werden daher immer das Sagen und die Verantwortung für die Ausländerpolitik haben.“ Es gehe vielmehr darum, gegen das „völkisch-zentrierte Denken“ der Mehrheit einzuwirken.

Das könne man etwa durch ein „modernes Einbürgerungsgesetz“, das große Mengen von Einwanderern problemlos - bei Tolerierung einer doppelten Staatsangehörigkeit - einbürgern würde. Dann seien die Zuwanderer politisch gleichberechtigt und könnten dennoch ihren eigenen kulturellen Weg gehen. Die nationale Zugehörigkeit wäre endlich losgelöst von der kulturellen Identität.

Als John vorgeworfen wurde, mit dieser Einstellung sei wieder einmal die Eindeutschung beziehungsweise Anpassung der Immigranten gefordert, fragte sie: „Welcher Nationalismus hält die türkischen Bürger davon ab, bei einer möglichen doppelten Staatsbürgerschaft die deutsche anzunehmen?“ Genau an diesem Punkt fangen die Fragen um die Konturen einer multikulturellen Gesellschaft an. Doch an diesem Punkt hörte die Diskussion auf.

Elisa Klapheck