Vor dem Gesetz...

Die Fraktionssprecherin der Bonner Grünen zu den politischen Querelen zwischen SPD und AL  ■ G A S T K O M M E N T A R

Das rot-grüne Experiment in Berlin wird fortgesetzt werden, weil es in den beiden Parteien nicht nur gewollt wird, sondern auch eine begrüßenswerte Lust auf Experimente ausgebrochen ist.

Bedenkt man, wie weit der Weg der beiden Parteien zueinander gerade in Berlin war und wie weit die AL dabei schon gegangen ist, sind die entstandenen Irritationen nicht verwunderlich.

Aber vor dem Gesetz steht ein Torhüter und verlangt eine dreimalige rituelle Verbeugung. Gegen den Inhalt des wörtlichen Textes über die Gewaltfrage ist nichts zu sagen. Wenn nicht durch diese gespreizte Forderung nach dem rituellen Bückling etwas Zusätzliches, eine Meta-Kategorie hinzukäme, die mehr vernebelt als klärt. Eine merkwürdige Form von Buchstaben- und Zeremoniengläubigkeit hat da die Geister ergriffen.

Die GRÜNE Partei und die AL haben sich bisher immer gewaltfrei verhalten. Darin liegt nicht das Problem. Es liegt darin, daß es für keine Partei möglich ist, zu staatlichen Gewaltmitteln zu greifen und gleichzeitig eine gewaltfreie Gesellschaft anzustreben, ohne dabei immer auch in Gewissenskonflikte zu kommen. Diesem Problem ist im Einigungspapier, so weit als in einem solchen Parteienzusammenhang möglich, Rechnung getragen.

Wirft man einen kleinen Blick durch den Spalt der Tür, so sieht man das, was keine Formel lösen kann: die Praxis in den Straßen einer Stadt, in der es täglich Gewalt gibt. Dafür deeskalierende konkrete Schritte zu finden in der Praxis, nicht nur auf dem Papier, das steht als Aufgabe vor beiden Parteien. Und das mit einer Bevölkerung, die massive Sicherheitsbedürfnisse hat. Das Ritual löst keine einzige Frage im Kiez.

In den Konzepten der Deeskalation von Gewalt haben wir mehr Erfahrungen als die SPD (wenn man von Herrn Schnoor einmal absieht, der auch nicht gemütlich lebt). Der AL ist zu wünschen, daß sie nicht tut, was links und rechts von ihr erwartet wird: entweder dreimal buckeln oder dreimal trotzig -verweigernd vor dem Torhüter stehen zu bleiben.

Antje Vollmer