Rushdie-betr.: "Ich bin für eine offensive Antwort",(Enzensberger) und "Sündenfall", taz vom 18.2.89

betr.: „Ich bin für eine offensive Antwort“, (Enzensberger), und „Sündenfall“, (Hartung) taz vom 18.2.89

Enzensberger hält Khomeinis jüngsten Hinrichtungsaufruf für „absolut selbstmörderisch für unsere Mitbürger moslemischen Glaubens“. Eine solche Feststellung trägt, trotz ihres bedauernden Tonfalls, dazu bei, den durchaus abwegigen Gedanken von einer Art Sippenhaft für Moslems überhaupt erst als etwas Selbstverständliches anzusehen.

Aber Enzensberger ist noch Gold im Vergleich zu Simone Lenz, die ja ansonsten vor allem die Mudschaheddin -Werbebezeichnung vom „afghanischen Widerstand“ nachplappert und die jetzt, bei Iran, einen „islamischen Terrorismus, den man schon seit langem kennt“, präsentiert - eine Formulierung, die glatt aus einer Iran-Presseerklärung der christlichen Terroristen des US-Außenministeriums stammen könnte.

Und wenn schließlich Hartung so tut, als hätten Politiker und Finanziers im Normalfall „keine Macht über das freie Wort“, als wäre dieses vielmehr erst beziehungsweise vor allem durch die Ohnmachtsphantasien eines Dritte-Welt -Politikers bedroht, dann ist soviel staatsbürgerliche Blauäugigkeit kaum noch zu überbieten. (...)

Judith Zürn, Freiburg

Sehr geehrter Herr Enzensberger, Ihre Empörung über die Morddrohungen gegenüber Rushdie ist berechtigt. Doch bei der Ihnen als kritischer Schriftsteller zugestandenen persönlichen Betroffenheit, warum nehmen Sie alle Menschen muslimischen Glaubens in Sippenhaft? „Und wenn dem Rushdie auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann wird es sehr teuer für den Islam.“

Vor allem, warum drohen Sie den bundesdeutschen Anhängern des muslimischen Glaubens mit den „Republikanern“? Wenn sich nicht jede Person dieses Glaubens ausdrücklich gegen Khomeini wendet, haben dann alle bundesdeutschen Moslems die „Gottesstrafe“ der „Republikaner“ verdient? Herr Enzensberger, lassen Sie Ihren kritischen Verstand wieder walten und erklären Sie den Widerstand gegen die tödliche Zensur zu einer Angelegenheit aller Menschen, gleich welchen Glaubens.

Christoph Scherrer, Berlin 61

Wir ahnten es schon, an Rassismus und „Republikanern“ sind „unsere ausländischen Gäste und Mitbürger“ (so Enzensberger in der Tagesschau am 18.2.) eigentlich doch selber schuld. Warum - in deutschem Namen - sind sie denn bloß immer noch Moslems, und - noch schlimmer - warum bloß sind sie im islamischen Kulturkreis geboren? Wenn sie schon zu einem solchen Kulturkreis gehören (bekanntlich gibt es im Islam keine Taufe), so müssen sie sich sputen zu erklären, daß sie nicht mit den „Sprechern ihrer Religionen“ identisch sind. (...)

Enzensberger will eine „offensive Antwort“ auf Khomeinis Ungeheuerlichkeit. Das ist sicher eine vernünftige Forderung, nur gelingt ihm auch das nicht. Da Enzensberger angesichts der Morddrohung „keine Lust auf (solche) Diskussionen hat“ und sich „auf (so) eine Diskussion nicht einlassen kann“, macht er sich auch nicht die Mühe, Khomeinis Aufruf als das zu begreifen, was er wirklich ist: der uralte Politikertrick, von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken, indem man den Untergebenen ein bedrohliches äußeres Feindbild serviert. Folgerichtig gibt Enzensberger unumwunden zu, daß er „natürlich (!) die innenpolitischen Verhältnisse im Iran nicht kenne“. Die interessieren ihn gar nicht erst.

Allerdings kann man Khomeini erst dann Feuer unterm Hintern machen, ihn erst dann international ächten, wenn man die jüngste Geschichte des Irans im Blick hat.

Wie, fragt sich die Leserin, die wahrlich nicht mit Kohl noch mit dem Papst an einem Strang zieht, ist Enzensbergers Statement also einzuordnen:

1. als billiger Auftritt eines Schriftstellers, der um stetige Publicity bemüht ist? Kommt er aufgeklärt Meinungsfreiheit - und „politisch“ - Bezug zum Wahlausgang daher, um so besser für das Image;

2. als typischer Fall für den Niedergang einer - ehemals linken - Intellektuellenkaste, die noch nicht einmal über die einfachste Begrifflichkeit politischer Analyse verfügt? Asche auf das Haupt aller, die in den Beiträgen solcher Intellektuellen jemals etwas anderes sahen als Zeitgeist.

3. als Vertreter von „Volkes Stimme“, heiß ersehnte Rolle vieler Intellektuellen, die ihnen zu Unrecht oft abgesprochen wird, die sie in der Realität häufig einnehmen? Wenn sogar liberale Schreiberlinge mit linker Vergangenheit durch und durch rassistisch sind (bewußt oder unbewußt), wen wundert es dann noch, daß die vielzitierten Sozialhilfeempfänger aus Gropiusstadt nicht verstehen, wo Ursachen und Lösungen von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot liegen?

Anke Voß, Hamburg