Die Christen-Union übt den Spagat im Stillen

Nach dem Beben der Berliner Wahlen ist bei CDU und CSU nur äußerlich Ruhe eingekehrt / Hinter den Kulissen wird der Richtungskampf personell ausgetragen / Das Schicksal von Generalsekretär Geißler entscheidet sich mit den Frankfurter Kommunalwahlen  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Wenn es schon so ist, daß der Wähler uns in Berlin eine Ohrfeige gegeben hat, ist es auch wünschenswert, daß der Wähler dann das Echo verträgt. Das Echo heißt Rot-Grün und Schaden für Berlin“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgruppe Inneres, der CSU-Abgeordnete Hermann Fellner der taz. „Ich habe überhaupt nichts dagegen, daß die Leute mal wieder erfahren, was es wirklich bedeutet, wenn die Typen Politik machen.“

Nicht nur diese Bemerkung markiert knapp drei Wochen nach dem Wahlschock von Berlin, der das scheinbar festgefügte Haus der CDU/CSU erschütterte, daß die Nachbeben abklingen. Die Partei ist zu Normallautstärke und nüchterner Kalkulation zurückgekehrt; viele aus den Reihen der Unionspolitiker nicht freiwillig, manche mangels weiterer Munition gegen die angeblich Schuldigen für das Berliner Fiasko, die meisten aber wohl mit Rücksicht auf die hessischen Kommunalwahlen am 12.März. Die miserablen Umfrageergebnisse der Union lassen einige bereits jetzt den Atem anhalten. Erstmals seit der Kohlschen Wende registrierte das ZDF-Politbarometer diese Woche eine Mehrheit für die rot-grüne Opposition auf Bundesebene.

Wertvoller Lummer

Nach dem Getöse der schnellen Analysen, die der Ausländerfrage zentrale Stellung am Debakel zumaßen, ist vielen in der Union deutlich geworden, daß zum Erfolg der „Republikaner“ ein Bündel von Gründen beitrug. Und so keimt nicht nur bei Fellner der Gedanke, die CDU hätte es bundesweit leichter, wenn das Schauerstück Rot-Grün tagtäglich im bundesdeutschen Polit-Programm gegeben würde.

Daß eine Partei an der Regierung leicht ihre Konturen verliert, ist auch dem ehemaligen Berliner Innensenator Heinrich Lummer aus dem Alltagsgeschäft einer Koalition bekannt. Entscheidend ist für ihn nur, an welchen Stellen es bröckelt. Für ihn hat die CDU am rechten Rand vieles versäumt, räsoniert er im sicheren Bewußtsein, für seine Partei so wertvoll wie selten zuvor zu sein. Strategiewechsel? - Nicht nötig, sagt Lummer: Die CDU müsse lediglich Versäumtes nachholen. Sie „muß nur versuchen, den Spagat zu vollziehen, um auch die Interessen rechter Wähler abzudecken. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn sie allerdings so weitermacht, ist es unmöglich“.

Angst vor Überdehnung

Viele in der Parteiführung aber ahnen, daß die Probleme vielschichtiger sind und auch ein Spagat nicht überdehnt werden kann. Besorgt wird in der Parteizentrale der Mitgliederschwund registriert, der intern für das letzte Jahr auf rund 30.000 beziffert wird. Damit hat die CDU wieder soviel Mitglieder wie vor zehn Jahren, als sie noch kraftvoll aus der Opposition heraus agieren konnte. Die Parteimodernisierer um Heiner Geißler sind sich bewußt, daß ihre erfolgreiche Strategie in die Jahre gekommen ist. Die Union hat die Fähigkeit verloren, Themen und Begriffe zu besetzen und bis in die Sprache eine Hegemonie zu erreichen, wie das in der Endphase der ausgebrannten sozial-liberalen Koalition der Fall war. Die Zukunftsentwürfe sind ihr ausgegangen, neue Konzepte fehlen. Bei der Frauen- und Familienpolitik haben die Paragraph-218-Scharfmacher Oberwasser, Norbert Blüm ist über die Gesundheitsreform zu Fall gekommen, und Berliner Sumpf wie Frankfurter Filz haben das Saubermann-Image verdüstert. Hinzu kommt das miserable Erscheinungsbild in der Tiefflug-Debatte, das Hin- und Her bei der Wehrdienstzeit, die Giftgas-Exporte und die so wenig mit den Bevölkerungswünschen harmonierende Abrüstungsabstinenz.

Zukunftsentwurf fehlt

Auch in der Frage des von der CDU an ihre Brust gehefteten europäischen Zusammenwachsens klafft ein tiefer Spalt. Ein Zukunftsentwurf für die Bundesrepublik, fehlt auch hier. An den Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ traut sich Geißler nicht mehr heran; nur Stuttgarts Oberbürgermeister Rommel wagt sich damit noch vor.

Wo man sich in der Bundestagsfraktion noch vor Wochenfrist „wie die Kesselflicker“ (Kanzler Kohl) um angebliche Versäumnisse bei der Asylfrage schlug, soll nun im verborgenen am großen Kurs gefeilt werden. Das Strategietreffen der Schwesterparteien am 27.Februar soll ganz im Stillen verlaufen; daß der Termin überhaupt bekanntgeworden ist, wird schon jetzt als Regiefehler bedauert. Laute Töne wird es danach in der Öffentlichkeit nicht geben; nichts wäre für die anstehenden sechs Kommunal und Landtagswahlen bis zur Bundestagswahl 1990 schädlicher als der Eindruck, die CDU/CSU wisse nicht, wohin sie wolle, haben die Strategen aus der Parteizentrale gewarnt.

Nach dem Wortgerassel von der „Stammkundschaft“, die die CDU nicht vor der „Laufkundschaft“ vernachlässigen dürfe (Waigel); dem „Trainingslager“, das die Koalition nötig habe (Späth) und der „Geißler-Schneise“ des Verderbens, die der CDU-Querschläger Todenhöfer ausmachte, hat sich außerdem in der Parteiführung die Einsicht durchgesetzt, daß Geißler nicht besser sein kann als die Partei. Der Parteivorsitzende Helmut Kohl mag in der ihm eigenen Art jetzt noch keine Festlegung treffen, ob er Geißler für den CDU-Parteitag im Frühherbst wieder als Generalsekretär vorschlägt, doch eigentlich bleibt ihm kaum eine Alternative, weder personell noch zeitlich - eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl.

Die Gelassenheit der CDU-Modernisierer und Geißler-Getreuen wie Berlins Sozialsenator Fink oder Bundestagspräsidentin Süssmuth sorgt für ohnmächtige Wut bei den CSU-Hardlinern, die mit ihrer Geißler-Schimpfe bislang allein blieben. Rita Süssmuth vertrat geradezu trotzig zum Wochenende noch einmal gegenüber den aufgebrachten CDU-Mittelständlern ihre Überzeugung, am rechten Rand seien weniger Stimmen zu holen, als in der Mitte zu verlieren.

Labile Stimmung

Dennoch, die Stimmungslage ist labil. Es drückt die Kommunal -Wahl in Hessen, der der hessische Ministerpräsident Wallmann nicht nur zum Unmut seiner Frankfurter Basis bereits bundespolitischen Symbolgehalt zumaß. Auch der Bundespartei wäre es lieber, sie stünde nicht erneut auf dem Prüfstand. Für den Generalsekretär Heiner Geißler ist es in der Tat ein Rhodos: Dort muß er springen. Bei der letzten Kommunalwahl hatte die CDU gerade unter der technischen Intelligenz und der Angestellten-Kaste im Frankfurter Raum deutliche Erfolge erzielt - in der von Geißler angepeilten Zielgruppe für eine „strategische Mehrheit“ der CDU. Bestätigen sich freilich die derzeitigen rabenschwarzen Prognosen für die CDU, steht auch Geißlers wieder unter Beschuß. Dann nämlich wäre seine Modernisierungsstrategie nach Berlin, wo Diepgen an einem liberalen Metropolenkonzept gefeilt hat, zum zweiten Mal gescheitert. Die Hinweise auf bundespolitische Einwirkungen verkämen dann zum billigen Rückzugsgefecht.

„Wenn man laufend aus Rücksicht vor Wahlen die Schnauze hält, kommt man auch nicht weiter“, kommentiert nur Lummer bissig die eingetretene Stille in der Partei. Ihn interesieren nicht „abgehackte Köpfe“. Richtig sei allerdings, „wenn ein Kopf an einer solchen Stelle nach einer Diskussion partout nicht zur Einsicht kommen will, dann stellt sich auch die Frage nach dem Kopf“. Aber noch habe er Hoffnung.