Vorzeigereaktor in der Sackgasse

Hochtemperaturreaktor droht an finanzieller Schwindsucht und technischen Mängeln zugrunde zu gehen / Heute tagt die Gesellschafterversammlung / Poker um 650 Millionen / Meiler ist seit Herbst kalt  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Vor der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der Betreiber des Thorium -Hochtemperaturreaktors THTR 300 in Hamm-Uentrop am heutigen Mittwoch scheint die Zukunft des einstigen Paradeprojekts bundesdeutscher AKW-Baukunst unsicherer denn je. Die Betreiber, mehrere mittelständische Energieversorger in Nordrhein-Westfalen mit dem Stromkonzern Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) an der Spitze, hatten im vergangenen Dezember angesichts drohender Verluste in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark „vorsorglich“ die Stillegung des „Reaktors der Zukunft“ beantragt. Der taktische Schachzug, mit dem die THTR-Betreiber die künftige Risikobeteiligung der öffentlichen Hand von 450 Millionen auf 1,1 Milliarden Mark schrauben wollten, wendet sich jedoch gegen seine Urheber. Die Rau-Regierung will keinen zusätzlichen Pfennig lockermachen. Forschungsminister Riesenhuber erklärte am Montag, der Staat könne „allenfalls noch sehr begrenzt beitragen“. Die Stromversorger selbst seien gefordert. Sie müßten sich überlegen, was ihnen der „Weiterbetrieb wert“ sei. Der VEW-Vorstandsvorsitzende Knizia konterte in der ZDF-Sendung Wiso, die Elektrizitätswirtschaft sei nicht bereit, „die fortgeschrittenen Reaktoren aus der eigenen Tasche zu bezahlen“.

Der Bielefelder Oberbürgermeister Klaus Schwickert, dessen Stadtwerke indirekt mit neun Prozent am THTR beteiligt sind, will vor allem die Hersteller finanziell in die Pflicht nehmen. Doch auch die Mannheimer Hochtemperatur-Reaktorbau, eine Tochter des neuen Asean Brown Boveri-Konzerns, zeigt keinerlei Ambitionen, das langsame Sterben ihres Prototypreaktors mit Millionenspritzen zu verlängern. Unterdessen begibt sich Schwickert, der seine THTR-Anteile lieber heute als morgen loswerden möchte, auf die Suche nach einem „hervorragenden Juristen“, der mögliche Wege aus dem Gesellschafter-Vertrag erkunden soll. Gegenwärtig geht in Hamm-Uentrop ohnehin nichts. Wegen 35 abgerissenen Bolzen in den Heizgaskanälen bleibt der Meiler seit Herbst vergangenen Jahres kalt. Die Reaktorsicherheitskommission (RSK), das Beratergremium von Bundesreaktorminister Töpfer, ist mit den Betreibern der Auffassung, die abgerissenen Bolzen seien für einen sicheren Betrieb des THTR ohne Belang. Fraglich ist derzeit, ob NRW-Genehmigungsminister Reimut Jochimsen dem Weiterbetrieb ohne Reparatur zustimmen wird. Im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium wartet man noch auf eine Studie des TÜV. Sie soll Ende der Woche vorliegen.