"Satanische Verse"

„ 'Nur eine Formalität‘, sagte der Babasaheb. 'Rama ist ein guter Freund von mir, und wir haben alles besprochen. Zuerst kriegst du nur eine kleine Nebenrolle, alles weitere hängt dann von dir ab. Und nun geh mir aus den Augen und mach nicht so ein unterwürfiges Gesicht; das steht dir absolut nicht.‘

'Aber Onkel -‘

'Ein so unverschämt gut aussehender Bursche wie du ist zu schade, um sein Leben lang anderen Leuten das Frühstück zu servieren. Nun geh schon, geh, und werde ein homosexueller Filmstar. Ich habe dich vor fünf Minuten gefeuert.‘

'Aber Onkel -‘

'Ich habe gesprochen. Du solltest deinem Glücksstern danken.‘ „(Seite 23)

So kommt eine der Hauptfiguren des Romans, Gibreel Farishta, zum Film. Er wird ein Star, stellt in zahllosen Hindistreifen die ganze hinduistische Götterwelt dar. Bei Rushdie ist Gibreel aber nicht nur der schizophrene und homosexuelle Moviestar, sondern zugleich der Erzengel Gabriel, der Mohammed (Mahound in den Satanic Verses genannt) die erste Sure eingibt.

„Sein Name: ein Traum-Name, durch die Vision verändert. Richtig ausgesprochen bedeutet er: Der, dem Dank gebührt aber hier wird er auf diesen Namen nicht antworten; auch nicht auf seinen Spitznamen hier unten in Jahilia, obgleich er ganz gut weiß, wie sie ihn hinter seinem Rücken nennen Der, der den alten Coney rauf und runter läuft. Hier ist er weder Mahomet noch MeiHemmed; hat statt dessen das Dämonen -Schildchen akzeptiert, das ihm die Farangis umgehängt haben. Um Beleidigungen in Stärke zu verwandeln, entschlossen sich Whigs, Tories, Schwarze, mit Stolz die Namen zu tragen, die ihnen voll Verachtung nachgerufen wurden; und so wird unser bergsteigender Einzelgänger mit Prophetenambitionen zu dem mittelalterlichen Kinderschreck, zum Synonym des Teufels: Mahound.“ (Seite 93)

Während bei Rushdie der Name Mahound in vielen Stellen auf den historischen Mohammed bezogen ist, wird in dieser Schlüsselstelle der Name relativiert: die „Farangis“, d.h. die Weißen, die Engländer, haben ihm, dem „Einzelgänger mit Prophetenambitionen“, diesen Namen umgehängt. Jahilia steht im Roman einerseits für Mekka, heißt aber auch Unwissenheit, d.h. die vorislamische Zeit.

„Was Salman mit Mahound endgültig entzweite: die Frage der Frauen; und der satanischen Verse. Hör zu, ich bin kein Schwätzer, gestand Salman angetrunken, aber nach dem Tod seiner Frau war Mahound nicht gerade ein Engel, wenn du verstehst, was ich meine. Aber in Yathrib hätte er fast seinen Meister gefunden. Die Frauen da: die ließen ihm in einem Jahr den Bart grau werden. Die Sache mit unserem Propheten, mein lieber Baal, ist nämlich die: er mag es nicht, wenn seine Frauen ihm Widerworte geben, deswegen steht er auf Mütter und Töchter, denk nur an seine erste Frau und an Ayesha: zu alt und zu jung, seine beiden Liebsten. Er hatte es nicht gern mit jemand von seiner eigenen Größe zu tun. Aber in Yathrib sind die Frauen anders, du kennst das nicht, hier in Jahilia bist du dran gewöhnt, deine Frauen herumzukommandieren, aber dort lassen sie sich sowas nicht gefallen.“ (Seite 366)

„The Curtain“, das größte Bordell in Jahilia (Mekka), wird im Buch auch Hijab („Schleier“) genannt. Das Wort bedeutet auch auch „weibliche Zurückhaltung“. Die Wortbedeutung geht von Chador (dem Schleier, den die Frauen tragen) bis Harem. In den folgenden Passagen ist im Traum des Gibreel das Bordell „The Curtain“ die Antithese zum Zelt des Propheten. Ebenso werden die zwölf Huren in Beziehung gesetzt zu den zwölf Frauen Mohammeds. - Auch andere Anspielungen wie auf den schwarzen Stein, die Kaaba, drängen sich auf. Es soll hier nur auf eine unheimliche Passage aufmerksam gemacht werden: der Dichter Baal, der sich in dem Traum vom Bordell bewegt, spricht von seinem Tod, der Form der „endgültigen Konfrontation mit dem Gehorsam“. Gehorsam, „submission“ im Buch, ist das Wort für Islam.

„Gibreel träumte von einem Schleier:

„Der Schleier“, Hijab - so hieß das beliebteste Freudenhaus von Jahilia, ein riesiger Palazzo mit Dattelpalmen in brunnengeschmückten Innenhöfen, die ringsum von zahllosen Kammern umgeben waren - ein verwirrendes Mosaik von Räumen und einem Labyrinth von verschlungenen Gängen, die ganz bewußt so angelegt waren, daß einer wie der andere aussah. Jeder einzelne war geschmückt mit den gleichen kalligraphischen Hymnen auf die Liebe und ausgelegt mit den gleichen Teppichen, und in jedem befand sich an einer Wand ein großer irdener Krug. Keiner der Kunden des „Schleiers“ war in der Lage, ohne Hilfe die Räume seiner bevorzugten Kurtisane oder auch den Ausgang zurück zur Straße zu finden. (...) Es war eine gemütliche, fensterlose Welt aus Draperien, beherrscht von der uralten und namenlosen Puffmutter des „Schleiers“, die unsichtbar hinter den ihren Sitz verbergenden Schleiern ihre heisere Stimme ertönen ließ und im Laufe der Jahre fast so etwas wie ein Orakel geworden war. Weder ihre Angestellten noch ihre Kunden konnten umhin, den Anweisungen ihrer sibyllinischen Stimme Folge zu leisten; in gewisser Weise waren ihre Worte die profane Antithese zu jenen heiligen Äußerungen, die Mahound in einem nicht allzu weit entfernten, sehr viel leichter zugänglichen Zelt tat. Was Baal im „Schleier“ lernte:

Von dem übelgelaunten Fleischer Ibrahim kam die Nachricht, daß trotz des neuen Schweinefleischverbots die nur nach außen hin Bekehrten scharenweise an seine Hintertür kamen, um heimlich verbotenes Fleisch zu kaufen. „Das Geschäft geht glänzend“, murmelte er, während er seine Lieblingsdame bestieg. „Der Preis für schwarzes Scheinefleisch ist hoch, aber diese neuen Gesetze machen mir verdammt nochmal die Arbeit immer schwerer. Es ist nicht leicht, ein Schwein heimlich zu schlachten, ohne Lärm.“ Dabei begann er selbst immer lauter zu quieken, wenn auch, wie man annehmen darf, eher vor Vergnügen als vor Schmerz. - Und der Lebensmittelhändler Musa gestand einer anderen Arbeiterin des horizontalen Gewerbes im „Schleier“, daß man die alten Gewohnheiten nur schwer ablegen könne, und wenn er ganz sicher war, daß niemand ihn hören konnte, sprach er hin und wieder ein leises Gebet an „Manat, die mir immer die Liebste war“, und manchmal, was soll man machen, auch an Al-Lat; „weibliche Göttinnnen sind eben einfach nicht zu schlagen, sie verfügen über Attribute, die die Burschen nicht besitzen.“ Worauf er sich gleichfalls und um so heftiger auf das irdische Abbild dieser Attribute stürzte. So kam es, daß der müde, dahinwelkende Baal in seiner Bitterkeit lernte, daß kein Reich absolut, kein Sieg vollständig ist. Und langsam wuchs seine Kritik an Mahound.

(...) Als der erste stechende Schmerz seines Kummers nachgelassen hatte, kam Baal zu der Überzeugung, der Fall Al -Lats müsse bedeuten, daß auch sein eigenes Ende dicht bevorstand. Er verlor jenes seltsame Gefühl der Sicherheit, daß das Leben im „Schleier“ eine Zeitlang in ihm geweckt hatte, aber merkwürdigerweise empfand er angesichts des zurückgekehrten Bewußtseins seiner Vergänglichkeit und der Gewißheit seiner unausweichlichen Entdeckung, gefolgt vom ebenso unausweichlichen Tode, keinerlei Angst. Er, der sein Leben lang ein überzeugter Feigling gewesen war, stellte zu seiner großen Überraschung fest, daß die Wirkung des nahenden Todes ihn tatsächlich in die Lage versetzte, die ganze Süße des Lebens auszukosten, und er mußte ständig daran denken, wie paradox es doch war, daß ihm ausgerechnet in diesem Haus kostspieliger Lügen die Augen für diese Wahrheit geöffnet worden waren. Und was war die Wahrheit? Die Wahrheit war, daß Al-Lat tot war, daß sie nie gelebt hatte, aber das machte Mahound noch lange nicht zum Propheten. Baal hatte das Stadium der Gottlosigkeit erreicht. Er begann mit tastenden Schritten über die Vorstellung von Göttern, Führern und Gesetzen hinauszugehen und zu erkennen, daß seine eigene Geschichte eng mit der Mahounds verknüpft und eine radikale Lösung unausweichlich war. Die Tatsache, daß diese Lösung aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Tod bedeuten würde, schockierte ihn nicht und kümmerte ihn auch nicht besonders, und als Musa der Lebensmittelhändler eines Tages etwas von den zwölf Frauen des Propheten murmelte, ein Gesetz für ihn, ein anderes für uns, da verstand Baal, welche Form seine endgültige Konfrontation mit dem Gehorsam nehmen mußte.

Es war an einem dieser verspielten Abende am Ende eines Arbeitstages, die Mädchen waren allein mit ihren Eunuchen und ihrem Wein, als Baal die Jüngste über ihren Kunden, den Lebensmittelhändler Musa, sprechen hörte. „Ach der!“ sagte sie. „Der hat sie nicht alle mit seinem Gerede von den Ehefrauen des Propheten. Er ist so besessen von ihnen, daß er sich aufregt, wenn er nur ihre Namen ausspricht. Er hat mir gesagt, ich sei persönlich das genaue Ebenbild von Ayesha selbst, und sie ist der Liebling des Hohen Herrn, wie ja alle wissen. Also.“

Die fünfzigjährige Kurtisane mischte sich in das Gespräch: „Also hört mal, die Frauen in diesem Harem da - die Männer reden heutzutage von nichts anderem mehr. Kein Wunder, daß Mahound sie versteckt hält, aber dadurch ist alles nur noch schlimmer geworden. Die Phantasie malt sich gerade das aus, was man nicht sehen kann.“

Besonders in dieser Stadt, dachte Baal; vor allem in unserem sittenlosen Jahilia, wo die Frauen, bevor Mahound mit seinem Gesetzbuch auftauchte, alle bunt gekleidet herumliefen und jede Unterhaltung sich nur um Ficken und Geld, Geld und Sex drehte, und es wurde keineswegs nur darüber geredet.

Zu der jünsten der Huren sagte er: „Warum tust du ihm nicht den Gefallen und spielst mit?“

„Wem?“

„Musa. Wenn Ayesha ihn so erregt, warum wirst du nicht einfach seine private, persönliche Ayesha?“

„Großer Gott“, meinte das Mädchen. „Wenn die das zu Ohren bekommen, dann werden sie deine Eier in Butter braten.“

Wieviel Ehefrauen? Zwölf, und eine alte Dame, längst verstorben. Wieviele Huren im „Schleier“? Auch zwölf, und versteckt auf ihrem schwarzbehängten Thron die uralte Puffmutter, die dem Tod noch immer die Stirn bot. Wo kein Glauben ist, da gibt es auch keine Gotteslästerung. Baal erzählt der Puffmutter von seiner Idee, und sie verkündete ihre Entscheidung mit der Stimme eines halskranken Frosches. „Es ist sehr gefährlich“, entschied sie, „aber es könnte ein verdammt gutes Geschäft werden. Wir werden vorsichtig sein, aber wir werden es so machen.“ (Seite 376-380)

„Als sich in der Stadt Jahilia herumgesprochen hatte, daß die Huren aus dem 'Schleier‘ jeweils die Identität einer von Mohammeds Frauen angenommen hatten, war die heimliche Erregung unter den Männern der Stadt groß... Und wenn der Prophet weg war, pilgerten die Männer von Jahilia in den 'Schleier‘, der einen Anstieg der Geschäfte um dreihundert Prozent erlebte. Aus verständlichen Gründen war es nicht üblich, auf der Straße eine Schlange zu bilden, und so schlängelte sich an vielen Tagen eine lange Reihe von Männern an den Mauern im Innenhof des Bordells entlang um den in der Mitte stehenden 'Brunnen der Liebe‘. Wie die Pilger aus ganz anderen Gründen um den alten 'Schwaren Stein‘ herumwandern... Die älteste und fetteste Hure erzählte ihren Kunden - und sie hatte viele - die Geschichte wie Mahound sie und Ayesha am gleichen Tag geheiratet habe...“ (Seite 381)