Eros und Tod von 1 bis 100

■ Endlich auch in Bremen: Peter Greenaways vierter Spielfilm Verschwörung der Frauen ist ein Film, der nur an seinen Vorgängern zu messen ist. Die Frauen sind kühl und überlegen, die Männer sterben den nassen Tod

Kino ist ein viel zu reiches und ergiebiges Medium, als daß man es nur den Geschichtenerzählern überlassen sollte.

Peter Greenaway sollte eigentlich zu seinen Filmen gleich die passenden Rezensionen mitliefern. Nicht etwa, weil den Filmkritikern zu seinen Arbeiten nichts mehr einfiele, er weiß nur alles viel besser. In A Walk Through H, immerhin schon 1978 fertiggestellt, ist eine gewisse Cissie Colpitts erwähnt, die in seiner neuesten Produktion wieder erscheint, gleich drei mal. In Der Bauch des Architekten tauchen Zeitungsartikel auf, die auf noch zu drehende Filme hinweisen. Tod und Verwesung haben es dem ehemaligen Kunststudenten angetan, ebenso wie Zahlen und Spiele. Und Zahlenspiele. Das beste Kino ist für mich ein artifizielles Kino, ein Kino, das sich seiner

Künstlichkeit bewußt ist, und nicht versucht, so etwas wie Realismus oder Naturalismus anzustreben, was ein Anspruch ist, der sich sowieso nicht einlösen läßt.

Greenaways Spielfilme sind nicht mit den gewöhnlichen Meßlatten anderer Regiearbeiten zu erfassen, höchstens mit sich selbst. Wenn dies nicht so wäre, könnte schnell der Verdacht aufkommen, der Brite mit den verqueren Strukturen im Kopf hätte bei seinen Kollegen geklaut.

Drowning by numbers ist das beste Beispiel dafür. Elemente aus Joos Stellings Der Ilusionist, Derek Jarmans The Last of England oder Kurosawas Ran sind zu erkennen, und das ist nur eine Auswahl. Doch niemand wird behaupten wollen, Greenaway hätte tatsächlich entlehnt, er brächte es gar nicht fertig.

Was also ist Verschwörung der

Frauen, so der trottelige deutsche Titel, für ein Film? Ein komplexer auf alle Fälle, von vorn bis hinten durchnumeriert und derart mit Anspielungen gespickt, die, wieder einmal, für mehrere Filme ausreichten.

„Ich habe gerade Jake ertränkt“, sagt Cissie Eins, die sechzigjährige, als sie dem örtlichen Leichenbeschauer vom Tod ihres Mannes in der Badewanne berichtet. Kühl, überlegt und mit einem hinterhältigen Blick steht sie da, wissend, daß er den Totenschein fälschen wird. Denn Madgett, der Angesprochene, würde ihr gern näherkommen, genauso wie ihrer Tochter und ihrer Enkelin, Cissie Zwei und Cissie Drei. Doch die lassen ihn nicht gewähren, sie benutzen ihn nur. Tod und Eros werden oft vermengt, es sind die Gegensätze, die sich einen.

Madgett erzählt von weiblichen Leichen, denen er sich im Kühlraum zuwandte, ein Fahradunfall auf zwei toten schwarzbunten Kühen endet nebenan mit der körperlichen Vereinigung der Fahrradfahrer und der Anblick eines schlafenden nackten Mannes (Greenaways Lieblingsmodell: fett, faltig, behaart) ermuntert die Frauen, über seinen Tod nachzudenken.

„Wasserleichen treten wie so viele Dinge immer zu dritt auf“, orakelt der Leichenbeschauer resigniert. Wie recht er hat. Auch die beiden anderen Cissies ertränken ihre Männer, immer entlang der Zahlenreihe, die überall den Film begleitet, der Hundert ent

gegen.

So wissen wir jederzeit um den Stand des Spiels, wir brauchen nur eine Zahl zu suchen. Denn alles ist ein Spiel, wird dazu gemacht. Wer nie von einem Henker-Cricket hörte, hier wird es gespielt, sieben Stunden lang, mit 57 SpielerInnen. „Spiele können sehr gefährlich sein“ vermutet der Leichenbeschauer einmal, und auch hier hat er ins Volle getroffen. Neben der absurden Auf

zählung tödlicher Cricketunfälle gibt es auch das letzte Spiel, das beste. „Bei diesem Spiel geht es darum, mit einer Schlinge um den Hals aus einer Höhe zu fallen, die ausreicht, sich zu erhängen.“ Wir sind bei 99. „Das ist das beste Spiel, weil der Verlierer gleichzeitig der Gewinner ist.“ Einhundert. Ende. Film, das ist, den Tod bei der Arbeit zu beobachten.

Jürgen Francke

Schauburg, 21 Uhr