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Heute bleibt die Kreide liegen

■ LehrerInnen streiken für weniger Arbeit und mehr KollegInnen / Bildungssenator spart ein Tagesgehalt / SchülerInnen wollen StreikbrecherInnen zum Mitmachen zwingen / Große Schulen sollen zu bleiben

Im Lehrerzimmer des Gymnasiums Hamburger Straße knallten gestern die Sektkorken. Gefeiert wurde jedoch nicht die 82 -prozentige Urabstimmungs-Mehrheit für Streik am heutigen Donnerstag, sondern der 40. Geburtstag der jüngsten Kollegin. Allerdings gibt es zwischen beiden Ereignissen einen Zusammenhang: Die LehrerInnen-Kollegien sind so hoffnungslos überaltert, weil dem Bremer Öffent

lichen Dienst seit fast zehn Jahren Einstellungsstopp verordnet ist. Mit einem niedrigen Tarifabschluß wollten ÖTV und GEW deshalb in diesem Jahr nicht nur Arbeitszeitverkürzung für sich selbst, sondern auch Arbeitsplätze für ihre jungen arbeitslosen KollegInnen beschaffen. Doch der Senat ging bislang nicht an die Umsetzung des Tarifkompromisses. Zu 200 Neueinstellungen bei einer Stunde weniger Unterricht

will die GEW den Senat mit ihrem Streik nun zwingen.

Der sah dem gewerkschaftlichen Kampf gestern allerdings noch gelassen entgegen: „Die Schulen sind beauftragt sicherzustellen, daß eine Unterrichtsversorgung gewährleistet ist“, teilte die Sprecherin des Bildungssenators mit. Wie die Schulen das trotz streikender Kollegien machen sollen, das sei erstmal deren Problem. Senator Franke hatte sich

schon vor einer Woche über die Einsparungen gefreut, die seinem Ressort zugute kommen, wenn das Gehalt der streikenden LehrerInnen um einen Tagessatz gekürzt wird.

Für die dazu erforderliche Meldung der Streikenden sorgt in diesem Arbeitskampf die GEW selber. Alle TeilnehmerInnen werden sich heute morgen schriftlich in ihren Schulen abmelden. Die vorgedruckten Briefe sind an den Präsidenten des Senats „auf dem Dienstweg“ adressiert und fallen durch einen kopierten 1000-Mark-Schein auf. „Ich möchte Sie auffordern, die schon 1988 bei meiner Gehaltserhöhung mindestens eingesparten 1.000 Mark jetzt unverzüglich für Neueinstellungen und Arbeitszeitverkürzung in den Schulen des Landes Bremen auszugeben“, heißt es zur Erläuterung.

Auch die Pennälerinnen bereiteten sich gestern auf den Streik ihrer Pauker vor. „Die Klausuren werden morgen geschrieben, das wurde uns zugesichert“, informierte die Schulsprecherin der Hamburger Straße die KlassensprecherInnen in der Pause. Alle anderen treffen sich heute in den Klassen und entscheiden dann, „ob wir unsere Lehrer zum Streik zwingen“, wie ein Klassensprecher es nannte. Spätestens nach der zweiten Pause wollen dann alle SchülerInnen zur Bürgerweide gehen, um sich der Demonstration ihrer Pauker anzuschließen.

Während Schulleiter Stille in der Hamburger Straße noch kei

nen Überblick hat, wieviel Unterricht in seiner Schule heute stattfinden wird, ist in den Vorlaufklassen der neuen Gesamtschule Mitte schon alles klar. Der künftige Direktor Armin Stolle: „Bei uns sind 100 Prozent organisiert und alle werden streiken.“ Von den zehn LehrerInnen der GSM -Vorklassen wird nur einer morgens auf SchülerInnen warten. „Wir rechnen aber damit, daß die Eltern solidarisch sind und ihre Kinder gar nicht erst auf den Weg schicken“, meint Stolle.

Einen vergleichbar hohen Organisationsgrad hat die Gewerkschaft nur in den beiden großen Gesamtschulen Ost und West. Doch GEW-Vorsitzender Rainer Baltschun rechnet auch an weiteren Schulen damit, daß die Tore heute geschlossen bleiben.

Im Lehrerzimmer des Viertel-Gymnasiums an der Hamburger Straße ist derweil die Stimmung trotz Geburtstags-Sekt gar nicht kämpferisch. Nur 15 der 60 KollegInnen sind in der GEW organisiert, höchstens zehn werden tatsächlich streiken, heißt es.

Dirk Asendorpf

Streiktermine:

8 Uhr: Treffen an den Schulen

9:15 Uhr: Streikversammlung im Zelt auf der Bürgerweide, u.a. mit dem GEW-Bundesvorsitzenden Dieter Wunder

11 Uhr Demonstration zum Rathaus

12:30 Uhr Abschlußkundgebung auf dem Marktplatz

20 Uhr: Streikfest im Zelt auf der Bürgerweide mit der Gruppe „Huellas“

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