Studierende auf der Jagd nach einem Wohnklo

■ Jedes Semster bewerben sich tausende neue StudentInnen um einen Platz im Wohnheim / Bis zu 56 Monate beträgt die Wartezeit / Im Zeichen der Zeit: Wohnheime nur für Studentinnnen / Der Senat plant den Bau von 600 neuen Plätzen / Das Studentenwohnheim Schlachtensee wird trotz Wohnraummangels abgerissen

Jeden Samstag am Bahnhof Zoo das gewohnte Bild: Gegen 16.00 Uhr bildet sich vor dem Zeitungskiosk die Schlange der Wohnungssuchenden - Wohnungsnot in Berlin. Tausende befinden sich derzeit erfolglos auf der Suche nach einer passenden Bleibe. Mit von der Partie auf der Jagd nach einem Domizil sind, Jahr für Jahr, 5.000 Erstsemester von der FU. Größtenteils haben sie vorläufig Unterschlupf bei Freunden und Verwandten gefunden, teilen sich zu dritt oder zu viert ein Zimmer, oder haben sich anläßlich des studentischen Streiks in den besetzten Räumen der „befreiten Universität“ einquartiert. Mit einem Bafög-Satz von höchstens 850 Mark ist es keinem Studierenden möglich, die horrenden Mieten in der Stadt zu bezahlen. Nach Angaben der Mietergemeinschaften haben sich die Mieten für Altbauwohnungen nach Aufhebung der Mietpreisbindung etwa um 24 Prozent erhöht. Immer häufiger trifft man auf sogenannte Mietwanderer - StudentInnen, denen es während eines gesamten Semesters nicht gelungen ist, eine passende Wohnung zu finden. „Mitwohnen“ auf kurze Zeit ist „in“, fünf bis sechs verschiedene Wohnplätze innerhalb eines Semesters keine Seltenheit. Da sich an der Berliner Wohnsituation im positiven Sinn nichts geändert hat, sind auch die Probleme der StudentInnen Semester für Semester die gleichen. Das Studentenwerk Berlin, erste Anlaufstelle wohnungssuchender Erstsemester, ist nicht mehr in der Lage, den zahlreichen Anfragen gerecht zu werden. 7.200 überbelegte Heimplätze gibt es in dieser Stadt - davon werden 6.200 Plätze über das Studentenwerk verwaltet, 1.000 Leute schlafen in frei finanzierten Hütten. Wie aber kommt man/frau nun zu einem subventionierten Wohnklo, wenn einmal der Versuch der Bestechung außer acht gelassen wird. Nun, da wäre einmal die Möglichkeit, sich auf der Warteliste ganz hinten anzustellen. Sie umfaßt 4.600 BewerberInnen, wobei laut Studentenwerk Wartezeiten bis zu 56 Monaten auftreten können. Demgegenüber steht das Paradoxum, daß FachhochschülerInnen höchstens bis zum achten, Uni -StudentInnen bis zu ihrem 14. Semester in einem StudentInnenwohnheim verbleiben dürfen. Gesellschaftlich Benachteiligte, wie behinderte oder ausländische StudentInnen erhalten eine Verlängerung von je vier Semestern. Ressentiments gegen AusländerInnen auf dem „freien Wohnungsmarkt“ tragen dazu bei, daß überproportional viele ausländische StudentInnen auf einen Wohnheimplatz kommen. Bis Ende 1988 existierte die Vorgabe des Studentenwerks, die besagt, daß der Ausländeranteil in StudentInnenheimen auf maximal 30 Prozent begrenzt werden sollte. Nach offiziellen Angaben soll er sich jedoch schon seit „eh und je“ um 50 Prozent bewegen.

Die andere Möglichkeit, ad hoc zu einem Wohnplatz zu gelangen, ist das tägliche Nachbohren bei einigen weniger begehrten öffentlichen Wohnheimen, die Plätze auf Nachfrage vergeben.

Die letzte Chance bieten die frei finanzierten StudentInnenunterkünfte. Gut maskiert und mit „rechter Gesinnung“ sollte man/frau sich auf den Weg zu einem Auswahlgespräch privater Heimträger begeben. Wer zum Beispiel eine Verbindung zum Hausbauverein Borusso-Saxonia aufnimmt, sollte weder weiblichen Geschlechts, noch ProtestantIn sein. Konkurrenzlos günstige Appartements - 130 Mark plus Heizung - bleiben jedoch nur wenigen Mitgliedern einer klagenden Oberschicht vorbehalten. „Ärzte helfen Ärzten“ - eine Stiftung des Hartmann-Bundes - reserviert in Dahlem 57 gepflegte Unterkünfte ausschließlich für Medizinerkinder. Doch wer wollte mit denen schon am Frühstückstisch über Elitetheorien diskutieren. Die Sachzwänge erfordern es. „Er“ kommt also nicht drum herum. „Zusätzlichen Wohnraum für Studierende“ will der jetzt abgewählte beschaffen. Elf Mio. Mark darf das Studentenwerk 1989 aufwenden, damit 600 weitere StudentInnen eine Bleibe finden. Doch erst einmal werden die Heimplätze weniger. Das StudentInnendorf Schlachtensee - wer hat es noch nicht gehört - soll Ende März zum Teil abgerissen werden. Betroffen davon sind 546 Zimmer einer, vor zwei Jahren unter Denkmalschutz gestellten Wohnanlage aus den Fünfzigern. Nicht vor Ende 1990 werden an gleicher Stelle 327 neue Plätze mit rekonstruierter Fassade entstehen. Nur das Innenleben darf sich kräftig zum jetzigen unterscheiden. Statt der Neun-Quadratmeter-Solokabinen und einer Toilette für sechs Leute, sind Appartementwohnungen für Wohngemeinschaften und Frauen mit Kindern geplant. Auch das Innenleben des Schwesternwohnheims auf dem Gelände des Rudolf-Virchow-Krankenhauses (RVK) könnte ein anderes sein, wenn es der Senat endlich fertigbrächte, einen Nutzungsvertrag zwischen der Klinikverwaltung und dem Studentenwerk zu erwirken. 120 Appartements könnten so vorübergehend von wohnungssuchenden StudentInnen genutztwerden. Doch die Verwaltung des RVK stellt sich quer. Sie befürchtet, die Studis bis zum Abriß im Herbst - zwei der drei Wohnheime stehen dem Ausbau zur Universitätsklinik im Wege - nicht mehr loszuwerden. Trotz der ausweglos erscheinenden Lage gäbe es Hoffnung, wenn einige Testamente so ausfielen wie das der Ottilie von Hansemann. Sie stiftete das ehemalige private Mädchenwohnheim in der Fraunhoferstraße dem Studentenwerk unter der Bedingung, daß die 85 Wohnungen, Doppel- und Einzelappartement's ausschließlich von Studentinnen mit oder ohne Kind angemietet werden dürfen. Männer sind willkommene Untermieter, haben aber keinen Anspruch auf einen Mietvertrag, denn wie sagte eine Vertreterin des Studentenwerks: „Den sozialen Tatsachen muß man einfach Rechnung tragen.“

Lothar Linke/Ali Fathi