BÜHNENBILDERFLUT SCHIEBT SPRACHGERÖLL: 1 TOTER

■ Strindbergs „Traumspiel“ im Schiller-Theater

Bekanntlich sagen tausend Bilder mehr als ein Wort, wobei letzteres die ersteren meistens eher stört. Zumal wenn das Wort sich gar - wie hier im Schillertheater - in mannigfachen Gestalten aufdrängt, die sich zu Sätzen, Szenen und gleich zu einem ganzen Drama zusammengerottet haben und so die stumme Harmonie der Metaphern in 3 D ernsthaft gefährden. Es wäre also Augusto Fernandes‘ Inszenierung von August Strindbergs „Traumspiel“ ganz nett, wäre da nicht das störende Stück selbst, wären da nicht die Wortmassen, die die Bilderschwemmen im Theater legitimationszwanghaft anscheinend immer vor sich herschieben müssen, vielleicht einfach schon deshalb, weil die an das Sprachgeröll angelagerte Sprechrolle einem jeden Schauspieler höchstes Gut und Glück ist, und erst an ihr (resp. an ihm, dem Kehlkopfvirtuosen) sich traditionell seine (resp. des Theaters) Kunstfertigkeit mißt. In Frieden hätte es also ruhen können oder sollen, das zum Assoziationssteinbruch gewordene „Traumspiel“ des Schweden August S., liquidiert in den Bilderfluten des Argentiniers Augusto F., die weit über die Ränder des überflüssig gewordenen Dramas hinausschwappen.

Strindbergs 1902 auf dem Höhepunkt der sich zwischen Wien und Stockholm auftürmenden Traum- und Innerlichkeitswelle entstandenes Stück vereint allerdings schon von sich aus nichts weniger als Das Sammelsurium des Traums, worin eine gewisse Logik liegt! Alles Absurde wird wahrscheinlich. Menschen tauchen flüchtig auf und werden verschieden skizziert, die Skizzen fließen ineinander, ein und dieselbe Person löst sich auf in mehrere, die wiederum zu einer einzigen werden. Zeit und Ort existieren nicht, eine Minute ist wie viele Jahre; keine Jahreszeiten: der Schnee bedeckt die Sommerlandschaft, die Linde welkt und grünt usw. (Aus einem Brief Strindbergs). Und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt, was Worte sagen können oder sagen sollen; ein relativ hoher dramatischer Wirrfaktor ist von vornherein garantiert, kühn reihen sich die Assoziationen in den Dialogen und in den Spielszenen aneinander, und daß die Geschichte, die „vielleicht geträumt, vielleicht erlebt, vielleicht gedichtet“ ist, bei derlei poetischen Experimenten höchst unwichtig ist, braucht man kaum noch zu erwähnen: Die Tochter des Gottes Indra steigt auf die Erde hinab. Zwecks Menschenrettung und hautnaher Leiderfahrung heiratet sie einen besonders Unglücklichen, was natürlich alles nichts nutzt, weil Leben bekanntlich Leiden ist et cetera.

Doch scheint es dem Regisseur Fernandes, der schließlich zuletzt am Schiller-Theater Calderon de la Barcas „Großes Welttheater“ ähnlich (welt)bildwütig inszeniert hat, weniger um die Psyche und deren finstere Abgründe inclusive unüberwindlichem menschlichen Leid zu tun zu sein. Ihm geht es eher um das höchstunverständliche allgemeine Welträtsel, insbesondere das des Traumes, immer wieder gern von Dichtern, Malern, Regisseuren und sonstigen Künstlern als unlösbar erkannt wurde und wird, und bei dessen ästhetischer Erforschung zum Schluß immer herauskommt, daß wir zum wirklichen Verständnis der Wirrnisse der Welt eben doch nur (tausend) Bilder zur Verfügung haben und das (eine) erlösende Wort, auf das alles zurückzuführen wäre, eben leider fehlt...

Die Bilder und Bildfetzen, die Fernandes (der ja auch sein eigener Bühnenbildner ist) in Sachen nicht-vorhandener -Weltformel zusammengebastelt hat, sind deshalb auch auf keine Bedeutungsformel zu bringen und bleiben völlig frei von jeder platten Symbolik: Sie sind einfach da, und das scheint das einzig Wichtige zu sein. Dann darf der Feuerwehrmann von rechts nach links und von links nach rechts über die Bühne gehen, dann dürfen Schnüre sich vom Boden zur Decke spannen, dann dürfen Stimmen aus anderen Stücken Strindbergs und sonstige merkwürdige Geräusche über Lautsprecher tönen, dann dürfen die Schatten lang und länger werden, dann leuchten die Scheinwerfer ihr härtestes Licht. Dann laufen Schränke auf die Bühne, dann bewegen sich Tänzerinnen zuckend im Hintergrund, dann regen sich viele auf Stühlen im Vordergrund. Dann hört man auf zuzuhören, und die Sprache wird zum Begleitgeräusch, zum Gurgeln beim Abtauchen im Bildersuff.

Manche sagen, dies sei, was jetzt allenthalben postmoderne Beliebigkeit heißt, andere sagen: Ham wer bei Wilson allet schon jesehen. Ich sage: Lustmord an Strindberg.

Gabriele Riedle

August Strindberg - Ein Traumspiel. Bearbeitung und Regie: Augusto Fernandes; Bühnenbild: Augusto Fernandes, Silvia Merlo, Ulf Stengl; Kostüme: Erika Landertinger; Musik und Geräusche: Theodor Ross; Die Tochter Indras: Christina Rubruck; Der Offizier: Peter Gavajda; Der Advokat: Friedhelm Ptok; Der Dichter: Holger Kepich + 39 weitere Personen)