: Denkmalspflege ist keine linke Politik
■ Replik von Jürgen Reents, Ökosozialist aus Hamburg, auf Rainer Tramperts Erklärung, „Weshalb ich nicht für den Bundesvorstand der Grünen kandidiere“ (taz vom 6.2.) Reents gehört zur Gruppe „Undogmatische Linke“ innerhalb der Grünen
Rainer Trampert hat in seiner Erklärung auf dem Linken -Treffen der Grünen (s. taz 6.2.) ein düsteres Bild von den Grünen als „etablierte Staatspartei“ gezeichnet: Für die „linke Auffassung“, daß Veränderungen nur durch „Opposition“ und „durch die eigene regierende Mitverwaltung der Herrschaftsverhältnisse“ möglich seien, „habe ich heute neuneinhalb Landesverbände gegen mich“, schrieb er. Seine Entscheidung, deswegen nicht wieder als Bundesvorstandssprecher zu kandidieren, wurde von Thomas Ebermann mit der - später als verunglückt bezeichneten Äußerung begrüßt, daß es Situationen gebe, in denen „die Partei zu schlecht für gute Sprecher“ sei. Ebermann und Trampert kündigten an, daß sie beim KB, bei der DKP, bei Gewerkschaftslinken und bei Autonomen für einen neuen linken Zusammenhang „Klinkenputzen gehen“ wollen.
Es ist noch nicht lange her, 1984, da schrieben Thomas Ebermann und andere: „Wir haben uns für diesen Weg der Mitarbeit bei den Grünen entschieden, als Baldur Springmann und Herbert Gruhl noch als möglicherweise hegemoniefähig bei den Grünen galten. Heute gelten Cohn-Bendit, Fischer, Schily, die wohl eher reformistische Linke sind, als unsere hauptsächlichen Widersacher. Das ist doch ein beachtlicher Fortschritt. Selbst wenn diese Strömung in nächster Zeit die mehrheitsfähige Strömung der Partei werden sollte, gäbe es unseren Erachtens keinen Grund, über Unsinn ökosozialistischer Politik bei den Grünen zu räsonieren.“
Sie tun's nun also doch. Das Projekt „Grün“ wird von Ebermann und Trampert als gescheitert beiseite gelegt. Gescheitert ist aber vor allem eine Politik der Illusionen und Idealismen, die als ökosozialistische „Zukunft der Grünen“ ausgemalt wurde und mit der Gegenwart der Grünen nichts anzufangen wußte.
Seit ihrer Gründung sind die Grünen im wesentlichen nichts anderes als eine Wahlpartei. Das kann man aus linker Sicht beklagen, aber es ist gleichzeitig hilflos. Für Ebermann und Trampert ist diese Tatsache in der Vergangenheit auch gar nicht mal Stein des Anstoßes gewesen. Lange Zeit haben sie selbst anhand von Wahlergebnissen darüber geschwärmt, daß die Grünen „eine langfristig 'gesicherte‘ Existenz, jedenfalls als wahlpolitisch expandierende Kraft“ hätten (E/T, Die Zukunft der Grünen). Doch dann kam Hamburg im Mai 1987, das Fiasko einer GAL, die in der zur erneuten Entscheidung anstehenden Frage „rot-grün oder sonstwas“ nur noch ihre realitätsferne Selbstgefälligkeit in der Stadt zu plakatieren wußte („Immer dasselbe - die GAL spielt nicht mit“), was ein Drittel der vormaligen sogenannte GAL -WählerInnen veranlaßte, dies durchaus ernst zu nehmen und der GAL den Rücken zu kehren. Statt aber die Gründe dieses Debakels auch in der eigenen Politik zu analysieren (die Wahlsiege gefeiert hatte, statt sie zu nutzen), wurde mit Ignoranz und Arroganz gegenüber dem sogenannte „Wechselwähler“ um sich geschlagen: „Leute, wenn es euch nur darum geht, Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu ändern, ist die Stimme an uns eine verschenkte, unabhängig davon, wieviel Prozent wir kriegen“ (Ebermann).
Tramperts Vorwurf, die Grünen sollten ihren Erfolg oder Mißerfolg nicht an Wahlergebnissen messen, sondern daran, „ob sich etwas verändert“, liefert dem Scheitern der eigenen Strategie nur eine nachträgliche Legitimation. Denn „ob sich etwas verändert“, ist unter den gegebenen Bedingungen dieses Staates nun einmal mit davon abhängig, welches sichtbare Potential die Linke in die Waagschale der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung werfen kann - in außerparlamentarischer Arbeit wie auch bei Wahlen. Die Crux aller linken Politik hierzulande ist ja wohl eingestandenermaßen, daß sie über andere Konzepte einer Gesellschaftsveränderung (oder auch nur Ansätze dafür) gar nicht verfügt.
Die Wortführer der ökosozialistischen Strömung haben nie begriffen, daß hier die Ursachen ihres inzwischen rasanten Geländeverlustes bei den Grünen liegen, und nicht in den immer unerträglicher werdenden staatsmännischen Dreistheiten von Otto Schily und dessen Fan-Club. Daß es Anpassung an die Herrschaftsverhältnisse („Rechtsentwicklung“) gibt, ist richtig. Ebermann und Trampert unterliegen aber einem zweifachen Irrtum: Erstens ist die anwachsende Kritik und Ablehnung ihrer speziellen taktischen und strategischen Ansichten nicht gleichbedeutend damit, daß nun alle ihre Kritiker Gutwetter mit Kapital und Staat wollen beziehungsweise konkret: daß der Bundesvorstand abgewählt wurde, weil er „sich überwiegend an Programmbeschlüsse“ gehalten und „den Abweichungen widersetzt“ hat (Trampert). Da tun sie das, was Ebermann so gern seinen Realo -Widersachern entgegenhält: Sie nehmen sich selbst zu wichtig. Und zweitens ist es immer die Frage linker Politik bei den Grünen gewesen, dem den Grünen als Wahlpartei innewohnenden Anpassungsdruck durch ein - traditionell gesagt - Mitte-Links-Bündnis innerhalb der Grünen entgegenzuwirken. Das aber haben sie restlos aufgegeben und durch ein gedankenloses Gezetere über „Verräter“ und „Kronzeugen“ ersetzt. Insofern ist die Ebermann/Trampert -Politik selbst nicht schuldlos an dem, was sie nun konstatiert. Wo linke Politik nur noch die radikale Phrase des Alles oder Nichts anbietet und nur die umgekehrten Bekenntnisse der Realos einfordert (Ebermann/Tramperts Ablehnung jeglicher parlamentarischen Kooperation mit der Sozialdemokratie contra Schilys Feier des staatlichen Gewaltmonopols), wird der Griff zum nächsten Strohhalm für immer mehr Leute schlicht zum kleineren Übel.
Ob „die Notwendigkeit, die Verhältnisse, in denen wir leben, radikal verändern zu müssen und dafür zu werben ... nur noch in Programmen vor(kommt), die verstauben“ (Trampert) oder in der Einbildung der Akteure, die dies beklagen, macht ja noch keinen wesentlichen Unterschied. Tramperts Vorstellung von „Radikalität“ ist zudem eine ausgesprochen voluntaristische: „Wenn einer das fünfte Mal gegen eine Wand gerannt ist und resigniert, dann kultiviert er die Ohnmacht irgendwie mit Neuem Denken. Meistens ist das sowas wie Anpassungskarriere...“ ('Konkret‘ 7/88), sagt Trampert und meint offenbar, daß er seine KritikerInnen damit gekonnt karikiert. In dieser Polemik liegt aber der Sache nach kein anderer Rat, als ein sechstes Mal gegen die Wand zu laufen, statt darüber nachzudenken, ob es nicht andere Wege gibt, sie zum Einsturz zu bringen.
Die AL West-Berlin unternimmt gegenwärtig einen von den Ökosozialisten (und übrigens auch von einem Teil der Realo -Bundesprominenz) befehdeten Versuch, Rot-Grün wieder als das zurückzuerobern, als was es ursprünglich (Hamburg 1982) mal angefangen hat: ein linkes Projekt, das das Bedürfnis nach aktuellen Veränderungen (und seien es nur wenig mehr als die, die SPD-Versprechen gegenüber CDU-Politik bedeuten) mit dem Kampf um eine größere gesellschaftliche Akzeptanz grüner Programmatik koppelt. Ein linkes Projekt, das Anreize und Spielräume für ein verstärktes Sicheinmischen gesellschaftlicher Bewegungen zu schaffen versucht. Ob das gelingt oder in einer der beidseits gescheiterten Optionen Hessen oder Hamburg 1986/87 endet, ist noch nicht entschieden. Die Auseinandersetzungen darum bewirken momentan aber hundertmal mehr für die Diskussion und Wiederbelebung der Linken in den Grünen als die kokette Denkmalspflege der fundamentalistisch-ökosozialistischen Wortführer.
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