Mit jedem Störfall werden Public Relations wichtiger

Der Industrie fehlt „kommunikative Kompetenz“ / Wissenschaftler sollen schon an Hochschulen lernen, das Weltbild ihres künftigen Arbeitgebers zu verkaufen  ■  Von Thomas Gesterkamp

Einen „Rekord im Kernkraftwerk Biblis“ meldeten Zeitungsanzeigen im letzten Dezember. Als erstes Atomkraftwerk der Welt habe der Block A über 100 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert - „erzielt wurde das Ergebnis aufgrund des hohen technischen Standards und der guten Qualifikation der Betriebsmannschaften. Die Ableitungen von radioaktiven Stoffen waren so gering, daß sie selbst in der unmittelbaren Umgebung des Kraftwerkes nicht nachweisbar waren.“

Diese Sätze stammen aus einer Annonce des „Informationskreises Kernenergie“, eines Zusammenschlusses von Energieversorgungsunternehmen, die gemeinsam für die Atomkraft werben. Peinlich, daß der hochgelobte Biblis -Reaktor just zu diesem Zeitpunkt in die Schlagzeilen geriet. In derselben Dezemberwoche, in der die Anzeige erschien, wurde bekannt, daß Betreiber und Aufsichtsbehörden des hessischen Reaktors ein Jahr lang den schwersten Störfall in der Geschichte der bundesdeutschen Kerntechnik verschwiegen hatten.

Eine mißglückte PR-Aktion - den Machern von Public Relations, das amerikanische Wort für Öffentlichkeitsarbeit, gelingen immer häufiger solche Eigentore. Wie sollen sie ihre Zielgruppen von der Harmlosigkeit der Atom- oder der chemischen Industrie überzeugen, wenn gleichzeitig ein Unfall nach dem anderen passiert, ein Skandal den nächsten jagt?Vorbei die Zeiten, als es darum ging, Reportern die neue Ausbildungswerkstatt oder das Jubiläum des Firmengesangsvereins nahezubringen. „Störfälle“ wie Sandoz oder Tschernobyl machen eine geschicktere Selbstdarstellung für bestimmte Industriezweige zur Überlebensnotwendigkeit. Alte PR-Weisheiten wie: „Tu Gutes und rede darüber“ reichen längst nicht mehr aus. Das hat auch die „Deutsche Public Relations Gesellschaft“ (DPRG) erkannt. Der Bonner Berufsverband der PR-Leute fordert die Entwicklung einer „Theorie der Public Relations“. Das amerikanische Verständnis von PR als eigenständiger Wissenschaft müsse sich auch hierzulande durchsetzen.

Der für die Ausbildung zuständige DPRG-Vizepräsident Wolfgang Reinecke fordert „kommunikative Kompetenz“ in brenzligen Situationen: „Wenn nach Tschernobyl, in den entscheidenden Stunden, als fachlicher Rat gefragt gewesen ist, in den PR-Abteilungen mancher Unternehmen die telefonischen Anrufbeantworter liefen: 'Wir sind erst Montag wieder zu erreichen‘, dann halte ich das für unprofessionell.“ Erfolgreiche PR-Arbeit, empfiehlt der Heidelberger Unternehmensberater seinen Kunden in den Vorstandsetagen, müsse über Krisenmanagement hinausgehen und langfristig angelegt sein. Nur der „offene Dialog“ mit der Öffentlichkeit könne verlorengegangenes Vertrauen wiederherstellen. Gefragt ist ein neues Berufsbild: der PR -Mitarbeiter, der vom Auftraggeber zwar für seine Loyalität bezahlt wird, der aber auf kritische Fragen freundlich reagieren kann. Wenn nach Bekanntwerden eines Altlastenskandals ein Journalist bei der Verursacherfirma anruft, soll er das Gefühl vermittelt bekommen, ein Hintergrundgespräch mit einem netten Kollegen zu führen. So wird der trügerische Eindruck von Partnerschaft erweckt. Öffentlichkeitsarbeiter müssen ihren Arbeitgeber so gut wie möglich verkaufen - während zumindest Journalisten, die sich nicht als Hofberichterstatter verstehen, an Informationen herankommen wollen, die Unternehmen oder politische Institutionen zu verbergen suchen.

Geschickte Firmensprecher bemühen sich, diesen Gegensatz zu verschleiern. Doch wenn ein „Störfall“ gerechtfertigt werden muß, schenken selbst wohlwollende Berichterstatter den entsprechenden Verlautbarungen wenig Glauben. Als Konsequenz haben große Konzerne neben der Pressestelle eigene PR -Abteilungen und -Etats eingerichtet. Kleinere Firmen behelfen sich mit der Vergabe von Aufträgen an spezialisierte Agenturen. Gelegentlich gehört der Verantwortliche für Public Relations schon zum Unternehmensvorstand.

PR wird zu einer Aufgabe des Managements - dieser Leitsatz ist der Kern der neuen Überlegungen in der Fachpresse und im PR-Berufsverband. In kritischen Situationen, fordert Unternehmensberater Reinicke, müßten die Spitzen aus Industrie und Politik selbst eingreifen und Stellung beziehen: „Der Fisch stinkt vom Kopf. Aber es gibt noch zu viele Unternehmensführer, die glauben, sie könnten ihren PR -Mann vorschicken, wo sie selbst sich der Diskussionen stellen müßten.“

Gerade hochspezialisierte Fachleute zeigen häufig wenig Sensibilität im Umgang mit der Öffentlichkeit. Da kommt es vor, wie nach Tschernobyl, daß Manager oder Ingenieure pauschal die Medien für die Ängste der Bevölkerung verantwortlich machen. Um solche Fehler künftig zu vermeiden, fordert die „Deutsche Public Relations Gesellschaft“ eine neue PR-Ausbildung.

Vor allem an den Universitäten und Fachhochschulen sind PR -Veranstaltungen nach Ansicht des Branchenblattes 'Public Relations Report‘ bisher nur schwach vertreten. Danach befassen sich nur 17 der 79 bundesdeutschen Hochschulen überhaupt mit PR. Ein „durchdachtes Lehrangebot“, klagt der Fachdienst, gebe es nirgends - angeboten werden nur einzelne Seminare oder Vorlesungen, die zudem noch über verschiedene Studienfächer verstreut sind.

Die DPRG möchte das ändern. Im Sinne der „Managementfunktion“ von PR fordert sie Ergänzungsstudiengänge, die Studenten aller Fachbereiche offenstehen. Betriebswirte wie Mediziner, Theologen wie Chemiker sollen Öffentlichkeitsarbeit trainieren. Der Wissenschaftler, so die Idealvorstellung, weiß künftig nicht nur über sein Fachgebiet Bescheid, sondern kann auch das zugehörige Weltbild seines Arbeitgebers verkaufen. Ein Physiker, dem es schwerfällt, in der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis für Atomkraft zu werben, soll für diese Diskussion bald besser gewappnet sein.

Das Pilotprojekt eines Zusatzstudiums Öffentlichkeitsarbeit führte zwischen 1980 und 1984 die Freie Universität Berlin durch - im Rahmen des Faches Publizistik. An der Universität Münster verhandelt die DPRG zur Zeit mit Hochschullehrern über ein eigenes Institut für Public Relations, das fachübergreifende Wege gehen soll. Vor allem die Wissenschaftler am Institut für Publizistik, einem der führenden in der Bundesrepublik, mißtrauen diesem Projekt, weil sie einseitige Forschung im Sinne der Industrie befürchten. Nur deshalb werde die neue PR-Ausbildung nicht einfach in den kommunikationswissenschaftlichen Studiengang integriert. „Es muß weiterhin möglich sein“, so der Münsteraner Professor Siegfried Weischenberg, „Öffentlichkeitsarbeit zu hinterfragen und die Studenten gegebenenfalls auch resistenter zu machen gegen Richtungen, die die Praxis bereithält.

Der vorläufige Satzungsentwurf des Instituts läßt befürchten, daß genau dies nicht sonderlich erwünscht ist. Neben dem zweisemestrigen Studiengang für Hörer aller Disziplinen sollen Weiterbildungsseminare für bereits im Beruf stehende PR-Fachleute angeboten sowie „angewandte Forschung“ betrieben werden. Doktoranden oder Examenskandidaten, so schwebt es der in einem Förderverein mitarbeitenden „Deutschen Public Relations Gesellschaft“ vor, könnten in ihren Abschlußarbeiten den Erfolg der PR -Strategie von Unternehmen messen und bewerten. Solche Dienstleistungen sollen zur Finanzierung des Institutes beitragen. Der Berufsverband will seinen Mitgliedern „nicht zumuten, hier fördernd tätig zu werden - bis auf einen Anerkennungsbeitrag“. Die DPRG verweist auch im Hinblick auf weitere Projekte an anderen Hochschulen auf direktes Sponsoring aus der Industrie.

Kein Unternehmer steckt Geld in eine Ausbildung, von der er sich nichts verspricht. Für ihre Spenden werden die Firmen Gegenleistungen erwarten - und bekommen. Das zeigen Beispiele aus der „angewandten Forschung“ etwa an naturwissenschaftlichen Instituten, auch wenn die Hochschulen in der Regel noch immer den Löwenanteil der Kosten tragen. Ihre Kenntnisse über Public Relations müssen Unternehmensmanager nicht ausgerechnet an staatlichen Universitäten verbessern. Wenn die Industrie ihre „kommunikative Kompetenz“ steigern will, sollte sie das selbst bezahlen. Noch besser wäre es, wenn sie für Legitimationskrisen a la Biblis keinen Anlaß mehr liefern würde. Der Fisch stinkt eben vom Kopf.