Polen: Indexlöhne - ja oder nein?

Regierungslager uneins über Lohnsystem / Industrieminister gegen Solidarnosc-Vorschlag zur Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung / ZK-Sekretär für Wirtschaftsfragen dafür  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

So wie es Regierungssprecher Urban sagt, klingt es geradezu bedauernd: Die Opposition trete monolithisch auf, die „nichtoppositionelle Seite“ hingegen äußerst pluralistisch. Tatsächlich, das bestätigen auch Teilnehmer der Solidarnosc -Seite, gibt es im Regierungslager immer mehr Meinungsunterschiede. Zum Beispiel lehnte Industrieminister Wilczek den Vorschlag von Solidarnosc, die Löhne für einen begrenzten Zeitraum der Preisentwicklung anzupassen, kategorisch ab. Solidarnosc hatte diesen Vorschlag am Anfang der Woche bei den Gesprächen am runden Tisch gemacht. Der für Wirtschaftsfragen zuständige ZK-Sekretär Baka hingegen kann sich mit der Festschreibung der Löhne für begrenzte Zeit durchaus anfreunden. Die offiziellen Gewerkschaften äußerten sich zunächst überhaupt nicht zu diesem Thema, um dann auf die Solidarnosc-Seite überzulaufen.

Das Problem: Indexlöhne können zwar kurzfristig die Arbeiter vor Kaufkraftverlusten schützen, schreiben aber zunächst einmal das von allen als ungerecht empfundene Lohnsystem fest. Irena Wojcicka, Solidarnosc-Expertin: „Wir sehen das auch nur als Übergangslösung. Die Frage des Lohnsystems kann am runden Tisch ohnehin nicht entschieden werden, zumal wir auch der Ansicht sind, daß diese Frage nach den Verhandlungen gar nicht mehr in die Kompetenz der Regierung fallen sollte.“ In der Opposition ist man sich einig, daß in Zukunft die Gewerkschaften und Verbände über das Lohnsystem entscheiden sollen, mit Betrieben, die vom Staat unabhängig sind. Auf lange Sicht will daher auch niemand Indexlöhne. Über die Folgen für die Inflation sind sich alle im klaren. ZK-Sekretär Baka rechnet allerdings damit, durch Festschreiben der Löhne die Inflation kurzfristig bremsen zu können.

Trotz der Übereinstimmung quer durch die Delegationen gibt es in dieser Frage aber keine Fortschritte. Ein polnischer Journalist: „Das Thema Löhne ist einfach zu heiß. Da muß die Regierung und Opposition noch zuviele Hemmungen überwinden, bis sie sich da dran wagt.“ Die Zeitschrift der Warschauer Solidarnosc ('Tzxgodnik masowsze‘) sieht dennoch viele Gemeinsamkeiten zwischen Regierung und Opposition gerade im Bereich Wirtschaft: „Das Programm von Solidarnosc ist ein Kompromiß zwischen Liberalen und Sozialdemokraten innerhalb der Gewerkschaft. Das führt dazu, daß sich häufig die Standpunkte von ZK-Sekretär Baka und Solidarnosc-Berater Bugaj näher sind, als die von Baka und Industrieminister Wilczek.“ Der habe wiederum mehr Gemeinsamkeiten mit den Neoliberalen der Solidarnosc -Seite. Baka erklärte sich gleich zu Anfang auch bereit, über die Nomenklatura zu reden: „Damit dieser Mythos endlich vom Tisch kommt.“

Verkehrte Fronten auch in der Frage der kommunalen Selbstverwaltung: Bei der PVAP-Bruderpartei ZSL (Vereinigte Bauernpartei) hat Solidarnosc Sympathien für eine Ausweitung der Selbstverwaltung ausgemacht. Beiden, Solidarnosc wie auch der Bauernpartei, ist der starke zentrale Einfluß der PVAP und der Bürokratie auf Wojewodschaftsebene ein Dorn im Auge. Wohl nicht zuletzt deshalb gab es für die bereits vereinbarte Wiederzulassung der Bauernsolidarität Sympathien von der Seiten der ZSL.

Die oftmalige „Übereinstimmung im Grundsatz“ (Regierungssprecher Urban) führt dazu, daß beide die ständig ausbrechenden Streiks herunterzuspielen versuchen. Urban, der sonst eher Streiks als Verhandlungshindernisse erklärt: „Das sind nur kleinere Betriebe.“ Daß oft offizielle Gewerkschaften zu den Streiks aufrufen, findet er „beunruhigend“: „Die OPZZ stehen zur Zeit in äußerster Opposition zur Regierung.“ Beide Seiten versuchen, zu hohen Erwartungen am runden Tisch zusammenzutreffen. Urban: „Der runde Tisch schafft nur die Voraussetzungen. Durch ihn allein wird die Wirtschaftslage noch nicht besser.“