Acht Millionen Eier für Sieben-Hühnchen

■ Birkel siegt im Schadensersatz-Prozeß gegen Stuttgarter Behörde / Acht Millionen Entschädigung

Berlin/Stuttgart (taz/ap) - Im Stuttgarter Nudel-Prozeß jubelt der Teigwarenhersteller Birkel über seinen „Sieg in voller Breite“. Das Stuttgarter Regierungspräsidium hingegen beweint einen „herben Rückschlag für den Verbraucherschutz“. Birkel soll für den Image- und Umsatzverlust, den die Firma nach Verzehrwarnungen der Behörde im Sommer 1985 erlitt, acht Millionen Mark Schadensersatz kassieren. Diesen Vergleich hat Richter Kiesel am Dienstagabend vorgeschlagen. Nudel-Chef Klaus Birkel: „Wir sind befriedigt, daß das Gericht unsere Rechtsauffassung teilt und Behördenwillkür künftig eingeschränkt wird.“

Der Vorgang ist fast vier Jahre alt. Im Sommer 1985 war das Gelbe vom Ei in Verruf geraten. Vor laufenden Fernsehkameras wurden „Frisch„-Eier zerdrückt, in denen sich bereits ein gut herangewachsenes Küken breit machte. Schmutz, Bakterien, Kot und anderes Unbill war von Lebensmittelfahndern in Flüssigei-Lieferungen entdeckt worden. Der Skandal war da.

In diesen harten Zeiten stieg auch der Stuttgarter Regierungspräsident Manfred Bulling in den Ring. Bei Nudel -Proben der schwäbischen Firma Birkel waren vom chemischen Untersuchungsamt der Stadt Hamm überhöhte Milchsäurewerte ermittelt worden. Bei der Verwendung von Flüssigei gilt dies als sicheres Indiz für bakterielle Verunreinigungen. Folglich ließ das Regierungspräsidium eilig eine Presseerklärung verbreiten, in der vor elf Produkten der Birkel-Sieben-Hühnchen-GmbH gewarnt wurde. Doch Birkel wies alle Vorwürfe zurück und machte geltend, daß kein Flüssigei, sondern Trockenei verwendet worden sei. Und bei Trockenei könne aus dem erhöhten Milchsäuregehalt keinesfalls auf Verunreinigungen geschlossen werden.

Dieser Auffassung schloß sich jetzt auch Richter Kiesel an. Vor dem Warnruf hätte sich die Behörde vergewissern müssen, ob nicht Trockenei verarbeitet worden sei. Für das Stuttgarter Landgericht steht außerdem fest, daß die Ware auf keinen Fall gesundheitsgefährdend war, allenfalls ekelerregend. Kiesel: „Ich hätte davon zehn Tonnen essen können, es wäre mir nichts passiert.“

Ein weiterer wichtiger Grund für den Vergleichsvorschlag des Gerichts, der von allen Prozeßbeobachtern als Sieg für Birkel gewertet wurde, ist die Frage der Zuständigkeit. Nach Ansicht der Kammer war die Stuttgarter Behörde zu einer Verbraucherwarnung vor Produkten, die im Birkel-Werk Schwelm in Nordrhein-Westfalen hergestellt und fast ausnahmslos in diesem Bundesland vertrieben werden, nicht berechtigt. In dem Bereich des Regierungspräsidiums sei die beanstandete Ware „nicht in warnungsrelevanter Weise“ vertrieben worden, so die wunderschöne Formulierung des Gerichts.

Das Regierungspräsidium blieb mit seiner Argumentation auf der Strecke. Wenn man den Verbrau Fortsetzung auf Seite 2

cher vor Gesundheitsgefahren schützen wolle, müsse man schnell handeln und habe keine Zeit zu langwierigen Nachfragen, hatte Bullings Behörde erklärt. Außerdem habe Birkel keinen Nachweis seiner Nudel-Ingredenzien geliefert.

Beide Parteien wollten sich gestern noch nicht festlegen, ob sie den Vergleichsvorschlag des Gerichts akzeptieren. Birkel hatte ursprünglich 43,2 Millionen Mark Schadensersatz verlangt. Die Behörden-Warnung vor Birkel habe „tiefe Spuren“ in den Bilanzen des Nudelriesen hinterlassen, auch auf der Beschäftigtenseite. Wegen des Umsatz-Einbruchs seien zwei von sechs Werken geschlossen worden. Richter Kiesel machte klar, daß er die 43-Millionen-Forderung für überzogen hält, obwohl Birkel „deutlich die besseren Karten“ habe. Er versuchte, die Parteien mit Hinweis auf die enormen Prozeßkosten für den Vergleich zu ködern. Der Weg durch die Instanzen werde 5,5 Millionen Mark verschlingen.

Die Verbraucherverbände befürchten, daß bei dem Prozeß auf jeden Fall der Verbraucherschutz verlieren wird. Vom Birkel -Urteil gewarnt, könnten die Behörden bei Lebensmittelskandalen künftig aus Angst vor Schadensersatz -Prozessen seltener an die Öffentlichkeit gehen.

-man