Schwarzer Pfeil für Rushdie fliegt

■ Khomeini: Wir werden uns Druck des Westens nicht beugen: Rushdie wird „hingerichtet“ / Iran zieht Botschafter aus EG ab / UNO-Chef appelliert an Iran: Mordaufruf zurücknehmen / Bonn stellt Haussmann-Reise in Frage

Berlin (taz/ap/dpa) - Der weltweite Chef der Shiiten, Ayatollah Khomeini, hat gestern klargemacht, daß er den Konflikt um die Satanischen Verse auf die Spitze treiben will. In einer Rundfunkansprache in Teheran bekräftigte der Diktator gestern die Grundzüge der iranischen Politik und erklärte, er werde sich unter keinen Umständen dem Druck des Westens beugen.

In der heiligen Stadt Mekka in Saudi-Arabien haben führende islamische Theologen am Mittwoch den britischen Autor Salman Rushdie einhellig als „religiösen Renegaten“ (Ketzer) verurteilt, dem dafür uneingeschränkt die nach der Scharia, der islamischen Rechtssprechung, vorgesehene Todesstrafe gebühre. Das Theologengremium schloß sich trotz inhaltlicher Übereinstimmung mit Khomeini dessen Mordaufruf jedoch nicht an, sondern forderte eine Verurteilung Rushdies in Abwesenheit in einem islamischen Land. Wie der Generalsekretär der Welt-Moslem-Liga, Abdullah Omar Naseef, im Namen der Synode weiter erklärte, stellt das Buch Rushdies einen „kriminellen verbalen Angriff“ auf den Islam dar und sei deshalb auch mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht zu entschuldigen. Es sei „Irtidad“ (Ketzerei), und darauf stehe der Tod.

Khomeiny sagte in Teheran weiter, er werde es nicht zulassen, das „liberale Politiker“ im Iran an die Macht gelangen und die Revolution verraten. Ohne Namen zu nennen, verwies Khomeini auf Leute in der Führung, die bereits gegen die Ziele der Revolution arbeiteten. „Am Anfang der Revolution haben wir Positionen an Leute vergeben, die nicht völlig unsere Weltanschauung teilen, und die bitteren Ergebnisse sind jetzt klar sichtbar geworden.“ Auch ohne Namensnennung wußte in Teheran offenbar jeder, wen er als potentiellen Abweichler an den Pranger stellte. Der als Pragmatiker geltende Parlamentspräsident Rafsandschani beeilte sich jedenfalls festzustellen, der Konflikt um Rushdies Roman sei eine Verschwörung gegen den Islam. Iran sei aber nicht davon abzubringen, seinen Weg um jeden Preis zu gehen.

Auch Staatspräsident Ali Chamenei, der gestern Jugoslawien besuchte, will jetzt von einer Aussetzung des Hinrichtungsbefehls aufgrund Rushdies Entschuldigung nichts mehr wissen. Seine Erklärung vom letzten Freitag sei mißverstanden worden, meinte er jetzt. Für das „Rusdhie -Problem“ gebe es keine andere Lösung als die „Hinrichtung“: „Der große schwarze Pfeil ist abgeschossen worden und auf dem Weg in sein Ziel“.

Den Maßnahmen der EG gegen Iran haben sich mittlerweile auch Schweden und Norwegen ange Fortsetzung auf Seite 2

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schlossen; Östereich und Australien überreichten den iranischen Botschaftern Protestnoten. Während Neuseeland seine Lammfleischexporte in den Iran nicht gefährden will, hat US-Präsident Bush, der sowieso keine diplomatischen Beziehungen zum Iran unterhält, die Reaktionen der EG -Staaten begrüßt. „Auch eine noch so schwere Beleidigung des Islam rechtfertigt keine Mordbefehle“, ließ Bush ausrichten. Nach anfänglichem Zögern hat gestern auch UNO -Generalrekretär Perez de Cuellar, der seine Vermittlerrolle zwischen Irak und Iran nicht gefährden wollte, an Teheran appelliert, die Drohungen gegen Rushdie aufzuheben. Auch der Oberste Sowjet hat einer Meldung der iranischen Nachrichtenagentur zufolge eine Botschaft an Teheran geschickt. Deren Text wurde allerdings nicht veröffentlicht.

In der Bundesrepublik befaßte sich gestern das Bonner Kabinett mit dem

iranische Mordbefehl. Dabei beschloß die Regierung, eine allerdings erst für den Herbst geplante Reise von Bundesminister Haussmann in den Iran auf Eis zu legen. Darüber hinaus will die Bundesregierung den Sicherheitsrat des Vereinten Nationen auffordern, sich mit der Morddrohung zu befassen. Für das Auswärtige Amt erklärte Staatssekretärin Adam-Schwaetzer, die jetzige Entwicklung im Iran sei für die deutsch-iranischen Beziehungen ein schwerer Rückschlag. Die Aufforderung zum Mord sei ein so eklatanter Bruch der Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben, daß „dies absolut nicht hingenommen werden kann“. Adam -Schwaetzer schloß nach der Kabinettssitzung auch Wirtschaftssanktionen gegen den Iran nicht aus. Der EG -Beschluß sei „ein erster Schritt“. So könnten Bundes- und Hermes-Bürgschaften für Geschäfte mit Iran künftig storniert werden. Als weitere konkrete Reaktionen stellte das Bundeswirtschaftsministerium die Vorbereitungen für die nächste Tagung der

deutsch-iranischen Wirtschaftskommission vorläufig ein. Die Kommission, die zum letzten Mal noch zu Regierungszeiten des Schah 1978 getagt hat, sollte im Herbst in Teheran zusammentreffen.

Für die heute geplante Bundestagsdebatte zum Thema Rusdhie, haben CDU/CSU, SPD und FDP eine gemeinsame Entschließung vorbereitet, in der der Mordaufruf schärfstens kritisiert wird. Die Grünen wollten sich der Erklärung nicht anschließen, da sie sich alleine auf „die Ungeheuerlichkeit“ der Verfolgung Rushdies konzentriere, die seit Monaten stattfindende Massenhinrichtung von Regimkritikern im Iran jedoch unerwähnt lasse.

JG