RWE - eine traurige Bilanz

■ „Erfolgsbilanz“ des Stromriesen RWE von der AG Atomindustrie gegen den Strich gelesen / Profitable Geschäfte bei den Beteiligungsgesellschaften, hohe Verluste im Atomgeschäft und kontinuierlicher Abbau von Arbeitsplätzen / Steuerzahlungen trotz hoher Gewinne beträchtlich gesunken

Strahlende Gesichter bei der RWE. Selbstzufrieden bekundet der Vorstand im neuen Geschäftsbericht, daß sich die in das Geschäftsjahr 1987/88 gesetzten Erwartungen erfüllt haben. Und in der Tat. Der RWE-Konzern konnte bei leicht gesunkenem Umsatz von 27,2 Milliarden Mark einen Überschuß von immerhin 766 Millionen Mark erwirtschaften. Den Löwenanteil strich wie immer die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke AG ein. Sie weist in ihrer Bilanz, wie auch in den vergangenen Jahren, einen Überschuß von 360 Millionen Mark aus, der als Ausschüttung an die Aktionäre geht. Weitere 231 Millionen Mark wurden an andere Gesellschafter abgeführt. Besondere Beachtung verdient, daß mit 175 Millionen Mark rund ein Drittel des Konzernanteils am Jahresüberschuß den ohnehin schon beträchtlichen Gewinnrücklagen zugeführt wurde. Die betragen auch nach dem Erwerb der deutschen Texaco AG nicht weniger als vier Milliarden Mark. Die RWE kaufte Texaco im Juni 1988 für 1,1 Milliarden Dollar. Gezahlt wurde cash. Dieser Deal wird die Umsatzsumme des Konzerns um rund zehn Milliarden Mark erhöhen.

Wie liquide sich der Energiegigant derzeit präsentiert, zeigen zwei weitere Zahlen: Die Rückstellungen wuchsen im vergangenen Geschäftsjahr um mehr als 25 Prozent und summieren sich auf immerhin 17,4 Milliarden Mark.

Übrigens: Die Mitarbeiter bei der RWE erhalten ein Durchschnittseinkommen von 65.000 Mark, ein Vorstandsmitglied schlappe 640.000.

Atom verdrängt

die Braunkohle

Während die Entwicklung bei den Konzern-Beteiligungen sehr profitabel war, verlief das Atomgeschäft im letzten Jahr alles andere als zufriedenstellend. Rätselhaft, daß die Atomenergie dennoch nach wie vor als kostengünstiges Regulativ in der Energieerzeugungsstruktur des Konzerns gepriesen wird. Immerhin sind die Verluste der Nukem GmbH und der französischen Super-Phenix-Betreiberin in der Größenordnung von 64 Millionen bzw. 43 Millionen Mark die einzigen ausgewiesenen roten Zahlen der 150 Unternehmens -Beteiligungen der RWE. Allerdings dürften auch Verluste bei der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), an der RWE zu 25 Prozent beteiligt ist, enstanden sein. In den vergangenen Jahren mußte die RWE regelmäßig rund 25 Millionen Mark Verlust bei der DWK verbuchen. Im diesjährigen Geschäftsbericht finden sich erstmals keine detaillierten Angaben zu dieser Beteilgung. Insgesamt ist davon ausgzugehen, daß das hochgelobte Kostenregulativ Atomenergie den Jahresabschluß der RWE um Hunderte Millionen Mark schmälerte.

Bei den zur Stromerzeugung eingesetzten Energieträgern setzt sich der Trend der letzten Jahre fort. Der lautet: Verdrängung der Braunkohle durch Atomenergie. Während die Braunkohleverstromung von 50,9 auf 47,2 Prozent der Stromproduktion zurückging, stieg der Atomstrom-Anteil von 21,4 auf 24 Prozent. Die Verstromung der heimischen Steinkohle ist von 21,7 auf 22,6 Prozent leicht angestiegen, weil die RWE zähneknirschend den Verpflichtungen aus dem Jahrhundertvertrag nachkommen mußte.

Die Verdrängung der Braunkohle durch die Atomenergie führte dazu, daß sich die Förderleistung der Rheinbraun um acht Prozent auf 99 Millionen Tonnen reduzierte, mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation. So kam es vor allem bei der RWE-Tochter Rheinbraun zu „personellen Anpassungen“, wie der Abbau von Arbeitsplätzen im Konzernjargon heißt. Die Zahl der Beschäftigten des Gesamtkonzerns nahm um etwa 650 auf 72.127 Mitarbeiter ab, in der RWE AG verminderte sich die Mitarbeiterzahl um rund 320 auf 24.271. Damit liegt die RWE auf der Linie der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung: Die Konjunktur läuft, Umsatz und Gewinne steigen, Fehlanzeige bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Die nach der Großfeuerungsanlagenverodnung (GFAVO) notwendigen Nachrüstungen der konventionellen Wärmekraftwerke mit Rauchgasentschwefelungsanlagen wurden von der RWE termingerecht erledigt. Bis zum 1.Juli 1988 wurden 32 Braunkohleblöcke mit einer Gesamtleistung von 9.000 Megawatt nachgerüstet. Die Kosten werden mit 6,4 Milliarden Mark angegeben. Der beim Betrieb der Anlagen anfallende Gips soll, solange eine Verwertung noch nicht gesichert ist, in ausgekohlten Braunkohletagebauen deponiert werden.

Von selbst hat die RWE das neue Verantwortungsgefühl für die Umwelt freilich nicht entdeckt. Der Boom bei den Umweltinvestitionen wurde vielmehr durch die 1983 verabschiedete GFAVO erzwungen. Daß man nicht gewillt ist, über den notwendigen Umfang hinausgehende Maßnahmen zu treffen, zeigt das RWE-Programm zur Reduzierung der Stickoxidemissionen. Von Katalysatoren, durch die eine Minderung des Schadstoffauswurfs um 70 bis 90 Prozent möglich wäre, wird bei der RWE nicht mal mehr geredet. Statt dessen bescheidet man sich mit sogenannten feuerungstechnischen Maßnahmen, mit denen die Grenzwerte gerade eben eingehalten werden können. Sie kosten mit rund 800 Millionen Mark nur den Bruchteil der Entstickung mit Katalysatoren. Von einem weitreichenden umweltpolitischen Engagement der RWE, das beispielsweise auch den forcierten Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung erfordern würde, kann nicht die Rede sein.

Die „Unsicherheiten

des Atomgeschäfts“

Die Risiken des Atomgeschäfts hat die RWE in der letzten Zeit wie nie zuvor zu spüren bekommen:

-Im Dezember 1987 entzog Budesumweltminister Töpfer der Hanauer Atomfirma und RWE-Enkelin Transnuklear die Genehmigung zum Transport radioaktiver Abfälle und begründete dies mit mangelnder Zuverlässigkeit.

-Im Januar 1988 entzog der Hessische Umweltminister auf Weisung des Bundesumweltministers der RWE-Tochter Nukem der Muttergesellschaft der Transportfirma Transnuklear - die Betriebsgenehmigung. Das Urangate von Hanau nahm seinen Lauf.

-Im September 1988 hob das Bundesverwaltungsgericht erstmalig in der BRD - die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich auf. Das von der RWE geleaste AKW steht still. Es ist zweifelhaft, ob es jemals wieder ans Netz geht.

-Vor 1990 wird die Düsseldorfer Landesregierung für den Schnellen Brüter in Kalkar keine Betriebsgenehmigung erteilen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Späth forderte den Bundeskanzler auf, den Bau des Brüters einstellen zu lassen. Die süddeutschen Stromversorger weigerten sich, weitere Mittel für das Brüterprojekt bereitzustellen.

-Das Schnellbrüter-AKW Super-Phenix in Creys -Malville/Frankreich wird seit Mai 1987 repariert. Obwohl die Reparatur in 20 Monaten nicht abgeschlossen werden konnte, soll der Brüter laut Geschäftsbericht seit Ende 1988 wieder am Netz sein.

-Das Atommüll-Management wird immer schwieriger: Das Genehmigungsverfahren für die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf stockt. In Gorleben ruhten bis vor kurzem die „Erkundungsarbeiten“ für das Endlager im Salzstock.

-Im Dezember 1987 kam es im AKW Biblis A zu einem Störfall, der erst ein Jahr später Schlagzeilen machte. Für 200 bis 300 Millionen Mark soll die RWE jetzt eine „Notstandswarte“ in Biblis bauen.

Bei all diesen Atomprojekten ist die RWE beteiligt und trägt meist die Hauptverantwortung. Doch das bei der Kontrolle maßgebliche Unternehmen ging auf Tauchstation. Bei Nukem wurde die zweitgrößte Gesellschafterin Degussa vorgeschickt, um die RWE-Atomtochter in ihre „unternehmerische Obhut“ zu nehmen. Im einleitenden Abschnitt „Zum wirtschafts- und energiepolitischen Umfeld“ des RWE-Geschäftsberichts bleibt der Hanauer Atomskandal unerwähnt. „Sorge bereiten uns (d.h. RWE, d.Red.) allerdings - die... mit schwer kalkulierbaren Unsicherheiten behafteten Genehmigungs- und Rechtsverfahren“ bei Atomanlagen. Auch vom Biblis-Störfall - der am selben Tag passierte, an dem Transnuklear die Rote Karte erhielt - ist die Rede: Zu keiner Zeit habe es eine Gefährdung der Bevölkerung gegeben. Daß sich das Bedienungspersonal sehr wohl in Gefahr brachte, wird verschwiegen.

Der Geschäftsbericht geht auch auf die von Bundesumweltminister Töpfer angekündigte „Entflechtung der Atomwirtschaft“ ein. „Unregelmäßigkeiten“ habe es bei der Transnuklear gegeben. Daß sich dahinter Bestechungsgelder und falsch deklarierte Schmiergeldzahlungen verbergen, die zu Entlassungen bei Nukem, RWE und Transnuklear geführt haben, wird nicht erwähnt.

Aus der vollmundig angekündigten Entflechtung der Atomindustrie, bei der die Macht der Konzerne beschnitten und die Entscheidungen öffentlich kontrollierbar werden sollten, wurde bekanntlich nichts. Die von der RWE statt dessen vorgenommene Umstrukturierung hat bisher dazu geführt, daß die in TNH - Transporte und Dienstleistungen Abwicklungsgesellschaft mbH - umfirmierte Transnuklear sich in der Auflösung befindet, die Nukem-Anteile an der Alkem GmbH und der Reaktor-Brennelement Union (RBU) an die Siemens AG verkauft wurden und die Reederei und Spedition „Braunkohle“ GmbH ihre nuklearen Transportaktivitäten an die Deutsche Bundesbahn abgab.

Millionenverluste

im AKW-Geschäft

Ganz hinten im RWE-Geschäftsbericht sind die Millionenverluste aufgeführt, die den krummen Touren der Hanauer Atom-Töchter folgten. Nukem mußte 63,9 Millionen Mark Verlust buchen, das Eigenkapital schrumpfte von 26,7 Millinen Mark auf 11,1 Millionen Mark. Die RWE beteiligte sich mit 22,5 Millionen Mark an einer Kapitalerhöhung der Nukem und schrieb im Zuge der Neuordnung des Nukem-Bereichs gleichzeitig 35,8 Millionen Mark ab.

Mit 42,9 Millionen Mark Verlust hat die Betreiberin des Super Phenix, die Centrale Nucleaire Europeenne a Neutrons Rapides SA, Paris, das RWE-Atomgeschäft versalzen.

Die Abschaltungen der AKWs in Mülheim-Kärlich und in Biblis waren der Anlaß für zusätzliche Rückstellungen im Kernenergiebereich. Dezent weist die RWE auf die „besondere Sorgfalt“ hin, mit der die „Entsorgungsrückstellungen“ bemessen worden seien; außerdem habe man die Bestandswerte aktualisiert. Dahinter verbirgt sich die nette Summe von 1,25 Milliarden Mark, um die sich die Rückstellungen für die Entsorgung im Kernenergiebereich erhöht haben. Die sonstigen Rückstellungen erhöhten sich um 8,5 Prozent auf 1,6 Milliarden Mark. Damit sollen die Risiken der AKW -Abschaltungen aufgefangen werden.

Negativ schlagen auch die Pachtraten für die leasing -finanzierten Atomkraftwerke zu Buche. Die Pacht für Mülheim -Kärlich betrug 969,3 Millionen Mark und der 75prozentige Pachtanteil für Gundremmingen B und C insgesamt 782,9 Millionen Mark. Leasinggeber für Mülheim-Kärlich ist die Societe Luxembourgeoise de Centrales Nucleaires SA (SCN), an der die RWE mit 30,01 Prozent beteiligt ist. Die Verträge zwischen RWE und SCN sind voller Ungereimtheiten. Mit mehr als sieben Milliarden Mark ist das AKW der mit Abstand teuerste Reaktor der Republik. Die RWE muß die Pacht an seine Beteiligungsgesellschaften SCN ohne Rücksicht auf den Betrieb des Atommeilers zahlen. Seit 1986, als Mülheim -Kärlich zum ersten Mal ans Netz ging, mußte es zweimal wegen fehlender Genehmigungen abgeschaltet werden. Die Stillstandskosten werden vom deutschen Atomforum auf zwei Millionen Mark pro Tag beziffert.

Steuern kürzen - nach

dem Bauherren-Modell

Die RWE bringt es seit Jahren fertig, trotz Wachstum bei Umsatz und Erträgen immer weniger Steuern zu zahlen. Die Entwicklung beim Posten „Steuern vom Einkommen und vom Ertrag“ sowie „Sonstige Steuern“ in den letzten Geschäftsjahren spricht Bände. Staat 772 Millionen Mark (Steuerquote bezogen auf den Umsatz: 5,8 Prozent), wie noch im Geschäftsjahr 1982/83, führt die RWE AG seit Jahren weniger als die Hälfte dieses Betrages an die Staatskasse ab. Bezogen auf den Umsatz ist mit 2,2 Prozent die niedrigste Steuerquote der Firmengeschichte erreicht.

Diese Entwicklung sollte nicht nur die kritischen Aktionäre, sondern auch die Politiker aller Schattierungen aufhorchen lassen. Was ist das für ein Absahnmodell, mit dem die RWE bei steigendem Umsatz und stabilem Gewinn immer weniger Steuern zahlt?

Das Prinzip gleicht dem Bauherrenmodell. Der Ertrag vor Steuern wird seit Jahren durch die Pachtraten für die „Leasing„-Kraftwerke Mülheim-Kärlich und Gundremmingen B und C gedrückt. Für Mülheim-Kärlich hat die RWE seit 1981 rund vier Milliarden Mark Pacht gezahlt. Diese Summe konnte die RWE aber bisher nur zum Teil auf die Stromkunden abwälzen. Die Schere entsteht insbesondere bei den Abschreibungen. Seit 1986, der Inbetriebnahme von Mülheim-Kärlich, schrieb SCN etwa 2,5 Milliarden Mark ab. Die RWE zahlte diese Summe mit der Pacht, bekommt aber bei Strompreiserhöhungen nur Abschreibungen von rund 350 Millionen Mark jährlich anerkannt. Die Differenz bei Mülheim-Kärlich beträgt folglich etwa 1,5 Milliarden Mark. Da diese Kosten vor Streuern anfallen, konnte die RWE seine Steuerzahlungen beträchlich senken - auf Kosten der Staatskasse, also der Steuerzahler.

AG Atomindustrie Berlin

Der ausführliche Alternative Geschäftsbericht 1987/88 der AG Atomindustrie ist über den Arbeitskreis Chemische Industrie, Postfach 250405, 5000 Köln 1, erhältlich.