Eine Frage der Zeit

Zu der Erklärung Abu Iyads  ■ G A S T K O M M E N T A R

Eigentlich hätte die Erklärung von Abu Iyad ein Erdbeben auslösen müssen. Soweit hatte sich noch kein PLO-Mann vorgewagt, noch keiner hatte sich direkt und unvermittelt an die israelische Öffentlichkeit gewandt. Keiner hatte bisher erklärt, man könne über alles verhandeln. Der Nationalkonvent der PLO stünde zur Diskussion. Die internationale Konferenz sei kein Ziel an sich, man könne ebensogut direkt miteinander verhandeln. Und vor allem: die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung sei keine Zwischenstufe, kein taktischer Schritt zur ratenweisen Übernahme ganz Palästinas, sondern das Siegel unter die endgültige Beilegung des Konflikts. Abu Iyad sprach nicht von den „Zionisten“ und „Besatzern“, sondern von den Israelis - ohne Anführungszeichen und Synonyme.

Abu Iyads Rede löste, abgesehen vom Applaus der dreihundert Zuhörer, keine nennenswerten Erschütterungen in Israel aus. Tags darauf erklärte der Ministerpräsident, es werde keine Verhandlungen mit der PLO geben, und der stellvertretende Außenminister Netanyahu fiel über die isarelischen Medien her: die „Hofberichterstattung“ über Arafat schaffe Illusionen und hintertreibe die Bemühungen der Regierung, mit Palästinensern ins Gespräch zu kommen, die nicht der PLO angehören würden. Jossi Beillin allerdings, ein Vertrauter von Schimon Peres, der immer das laut ausspricht, was sein Chef gerade denkt, sagte, es werde Israel schließlich nichts anderes übrig bleiben, als einen Dialog mit „PLO-Elementen“ zu beginnen, dies würden selbst Likud-Leute in privaten Gesprächen zugeben.

Das offizielle Israel verteidigt Positionen, deren Haltbarkeit nur eine Frage der Zeit ist. Noch ein paar Erklärung der Art, wie sie Abu Iyad abgegeben hat, und der nationale Konsens, man werde nie mit der PLO reden, wird auseinanderbröseln. Es sei denn, Ahmad Jilbril und Abu Nidal kommen Schamir zu Hilfe. Wie sagte doch Abu Iyad an die Israelis: „Ihr habt eure Extremisten, und wir haben unsere.“

Henryk Broder