Neues Arbeitgebertabu wird aufgebaut

IGMetall bereitet sich auf Arbeitskampf für 35-Stunden-Woche für 1990 vor / Gesellschaftliche Mobilisierung erforderlich  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Die IG Metall (IGM) bereitet schon jetzt die Tarifrunde 1990 vor, in der endgültig die 35-Stunden-Woche durchgesetzt werden soll. Klaus Zwickel, im IGM-Vorstand für Tarifpolitik zuständig, konstatiert verstärkten Widerstand der Arbeitgeber gegen weitere Arbeitszeitverkürzungen. Die Arbeitgeber, so ein Papier der IGM-Tarifabteilung, bauen derzeit gegenüber der 35-Stunden-Woche eine erneute „Tabuposition“ auf. Die IGM, die 1984 in einem siebenwöchigen Streik das Arbeitgebertabu 40-Stunden-Woche geknackt hatte, bereitet sich schon jetzt auf einen Arbeitskampf vor.

Dabei sind die Kampfbedingungen wegen des 1986 veränderten Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, der Lohnersatzleistungen bei „kalter Aussperrung“ nicht nur im „Kampfgebiet“, sondern in der gesamten Branche ausschließt, schwieriger geworden. „Um kampffähig zu bleiben, müssen wir uns in den Betrieben gründlich vorbereiten und zusammen mit dem DGB in der Gesellschaft ein Netzwerk der Solidarität, der Hilfestellung und der Unterstützung für den Fall der kalten Aussperrung aufbauen“, meinte Zwickel. Schon der Tarifkompromiß von 1987, in dem die stufenweise Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 37 Stunden ohne Arbeitskampf durchgesetzt wurde, sei nur „unter dem Eindruck einer glaubwürdigen Kampfdrohung der IGMetall sowie einer breiten Solidaritätsbewegung in den Gewerkschaften und der Öffentlichkeit“ zustande gekommen.

Die Arbeitgeber sehen nach Einschätzung der IGMetall derzeit günstige Bedingungen dafür, weitere Arbeitszeitverkürzungen abzublocken: Die Debatte um den Industriestandort Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes Ende 92 hat den Konkurrenzdruck auf die Belegschaften verschärft. Sie bieten öffentlichkeitswirksam eine „industriepolitische Kooperation“ mit Betriebsräten und Gewerkschaften, die „im Namen der Arbeitsplatzsicherung“ auf die Durchlöcherung der tariflichen Standards in der BRD zielt.

Neben der 35-Stunden-Woche sieht die IGM einen weiteren Schwerpunkt bei der Verteidigung des freien Wochenendes. Dem Streben der Unternehmer nach verlängerten Maschinennutzungszeiten will die IGM die Konzeption einer „arbeitnehmerorientierten Arbeitszeitgestaltung“ mit erweiterten Wahlmöglichkeiten für die Beschäftigten gegenüberstellen. Die IGM ist sich klar, daß sie die Auseinandersetzung nicht allein bestehen kann, sondern national und international ihr gesellschaftliches Umfeld in die Mobilisierung einbeziehen muß. Dies bezieht sich auch auf die europäische Gewerkschaftsbewegung, die sich nach 1984 ebenfalls der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung angeschlossen hatte.