Kriegsspiele in Schlips und Kragen

■ Heute beginnt die weltweite Nato-Stabsübung Wintex-Cimex - atomarer Angriff inclusive

Alle zwei Jahre wieder macht die Nato am Schreibtisch mobil. Geprobt wird nach einem in Brüssel entwickelten Szenario, das sämtliche Nato-Staaten einschließt. Die Kritik der Opposition in Bonn richtet sich vor allem gegen die immergleichen Bedrohungsannahmen. Statt die veränderte politische Situation zu berücksichtigen, wird weiterhin „kalter Krieg“ gespielt. Trotz der Kritik sind aber auch in diesem Jahr alle SPD-Bundesländer mit von der Partie.

Im 'Stern‘ nahm der Admiral kein Blatt vor den Mund: Die politische Lage in der Sowjetunion lasse es heute möglich erscheinen, „die Geschäftsgrundlage unserer Nachkriegspolitik zu überprüfen„; niemand könne ernsthaft an die Kontrollierbarkeit von Atomwaffen glauben, und überhaupt solle die Bundesrepublik aufhören, den „Musterknaben“ der Nato zu spielen. Admiral Elmar Schmähling machte in den vergangenen Monaten von sich reden, weil er, wie die 'FAZ‘ trocken feststellt, „die deutsche Sicherheitspolitik vernichtend kritisiert“. Nun ist Elmar Schmähling nicht nur 'Stern'-Autor, sondern auch Leiter des Amts für Studien und Übungen der Bundeswehr und in dieser Eigenschaft bundesdeutscher Chefplaner für die Nato-Übung Wintex-Cimex, mit der ab heute Nato-weit von Washington bis Ankara per Computer und Telefon der totale Krieg geprobt wird.

Was über das streng geheime Szenario an die Öffentlichkeit drang, spricht den Forderungen von Elmar Schmähling Hohn: Erstmals setzt die Nato Atomwaffen nicht „nur“ im Ersteinsatz zur Kriegsbeendigung ein, sondern plant, weil die Sowjets nicht zu stoppen sind, weitere Atomschläge, ein Drittel davon auf deutschem Boden. Das vorhergehende Krisen -Szenario offenbart die klammheimlichen Wunschträume der Nato-Falken: wirtschaftliche Krise und politische Unruhen in der Sowjetunion, Einmarsch der Roten Armee in Jugoslawien der Sturz Gorbatschows wurde, unbestätigten Gerüchten zufolge, in letzter Minute wieder gestrichen.

An der Planung dieser Übung war Elmar Schmählings Amt (sowie die bundesdeutsche Akademie für zivile Verteidigung) von Anfang an dabei: In den „Central Planing Teams“ im Nato -Hauptquartier, wo die Szenarien ausgearbeitet werden. Der Ruf der SPD nach einer Reform und mehr deutschem Einfluß bei den Übungsvorgaben (siehe unten) hatte also schon lange einen Adressaten - das Ergebnis ist für die Reformstrategen vernichtend. Alfred Mechtersheimer, Grüner im Verteidigungsausschuß und im Notstands-Parlament (Gemeinsamer Ausschuß): „Nach meinen Informationen war es die Bundesregierung, die gegenüber der Nato auf den übungsmäßigen Einsatz von Nuklearwaffen zur Einübung der 'nuklearen Konsulationen‘ drängte.“

Statt vermehrten Versuchen der politischen Krisenbewältigung beginnt diesmal die heiße Kriegsphase sogar einen Tag früher als sonst. Spätestens am kommenden Mittwoch um 11 Uhr wird im Regierungsbunker in der Eifel der „Verteidigungsfall“ ausgerufen. Das Innenministerium hätte es gerne gesehen, wenn die Mitglieder des Gemeinsamen Ausschusses diesmal richtig mitgespielt hätten und die Hand für Notstand und Krieg gehoben hätten, doch die Abgeordneten aller Parteien zierten sich und werden so auch diesmal wieder nur „informationshalber“ in den Bunker einrücken, um sich quasi selber über die Schulter zu schauen.

Kriegsbeginn kommender Mittwoch

Wie beim letzten Mal, 1987, sind bei der diesjährigen Stabsrahmen-Übung rund 1.500 zivile und 800 militärische Stellen im Bundesgebiet im Einsatz. Etwa 50.000 Schreibtischtäter, so eine Schätzung, werden während der zivilen Phase ab heute bis kommenden Mittwoch das reibungslose Funktionieren des Notstandsapparats einstudieren: Von der Ausgabe der Lebensmittelkarten bis zum Inschachhalten von Flüchtlingen, „Panikpersonen“ und Saboteuren. Offiziell wird auf Grundlage der Notstandsgesetze der 60er Jahre geprobt, inoffiziell kommen erfahrungsgemäß vor allem gegen den inneren Feind diverse andere, nicht rechtskräftige Schubladenvorhaben zur Anwendung, diesmal der in Bayern geplante 14tägige „Unterbindungsgewahrsam“.

Zwar hat sich die Beteiligung ziviler Verwaltungsstellen an Wintex-Cimex in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht doch angesichts sinkender Übungsbereitschaft in den SPD -regierten Länder und schwindendem Wehrwillen in der Bevölkerung drang Innenminister Zimmermann mit einem Brief an alle Innenbehörden vor wenigen Wochen noch einmal auf „umfassende und engagierte Mitarbeit“. Trotz des eindeutig militärischen Charakters der Veranstaltung versuchte Zimmermann, den Ländern die Übung als „für Krisenfälle aller Art von Nutzen“ aufzuschwatzen: Sie sei „im Interesse der Bevölkerung und der Katastrophenschutzverbände.“

Den Militärs paßt diese Soft-Werbung gar nicht. Die 'Truppenpraxis‘ (Zeitschrift für den Offizier) wettert gegen die „Konzessionen an den „Zeitgeist“: „Durch vermeintliche geschickte Anpassung wird nicht den Zwecken der Verteidigung gedient“, sondern deren „moralische Legitimation an sich in Frage gestellt“. Die Verharmlosung des Kriegsspiels treibt zuweilen merkwürdige Blüten: In der Antwort auf eine Stadtratsanfrage der Grünen beweist die Stadt Braunschweig die zivile Nützlichkeit des antisowjetischen Kriegsspektakels ausgerechnet damit, daß doch deutsche Katastrophenhelfer beim Erdbeben in der Sowjetunion zum Einsatz gekommen wären. In Braunschweig wird übrigens besonders eifrig geübt: Da ist nicht nur das das Friedhofsamt sondern auch das Stadtarchiv dabei.

Während das Spektakulär-Skurrile dieser Nato-Übung die öffentliche Diskussion bestimmt, werden hinter Kulissen die realistischeren Eskalationsstufen niederer Art geprobt. Der Krieg im Nahen Osten ist diesmal wieder inklusive, und damit vermutlich die Anwendung des „Wartime Host Nation Support„ -Abkommens, also die Unterstützung US-amerikanischer Verstärkungsstreitkräfte durch westdeutsches Personal und Material. Allen aktuellen Differenzen in der Nato zum Trotz ist schließlich Übungsziel, „die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses zum Ausdruck zu bringen“.

Charlotte Wiedemann