Startbahnprozeß begonnen

Eine Fülle von Anträgen am ersten Tag des Startbahnprozeßes in Frankfurt / Andreas Semisch aus dem Saal gezerrt / Siegrun G. „passiv verhandlungsfähig“  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Peinlich genaue Leibesvisitationen und Ausweiskontrollen: Fast eine Stunde lang dauerte es gestern morgen, bis die Zuschauer im Startbahnprozeß vor dem 5. Strafsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts die strengen Sicherheitskontrollen passiert hatten. Im Saal 165C fanden sie sich hinter einer nagelneuen Trennscheibe wieder. Von der Pressetribüne oberhalb des Saales aus waren von der dermaßen hergestellten Öffentlichkeit nur die Stiefel- und Turnschuhspitzen der ersten Reihe zu erkennen. Der Einzug der neun Angeklagten und der achtzehn VerteidigerInnen glich einer Prozession. Die Anklagevertretung erschien mit 104 Aktenordnern. Zwei der neun Angeklagten sollen sich des Mordes und versuchten Mordes schuldig gemacht haben: der 34 Jahre alte Andreas Eichler und der 26jährige Frank Hoffman. Ihnen wird die Ermordung zweier Polizisten an der Startbahn West des Frankfurter Flughafens im November 1987 vorgeworfen.

An diesem ersten Verhandlungstag sah sich das Gericht einem brillanten Feuerwerk der VerteidigerInnen gegenüber. Den drei Anträgen - Herstellung der Öffentlichkeit, Aussetzung der Verhandlung für eine Woche zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts und menschenwürdige Unterbringung von Anwälten und Mandanten in den Pausen schlossen sich alle Verteidiger an.

Die Anwälte der vier Untersuchungshäftlinge Eichler, Hoff Fortsetzung auf Seite 2

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mann, Semisch und Hübner schilderten kurz vor der Mittagsause eindringlich, wie sie und ihre Mandanten im Keller des Gerichtsgebäudes untergebracht sind: winzige Zellen mit „Trennscheibengucklöchern“, zu dunkel zum Lesen, voller Staub und Bauschutt und mit Spionin in den Außentüren. Die dröhnende Klimaanlage mache Gespräche unmöglich. Rechtsanwalt Kronauer teilte mit, er weigere sich, „weiter in diesen Löchern“ zu sitzen. Rechtsanwalt Viergutz nannte den Abtransport der Angeklagten auch in kurzen Pausen und gefesselt „einen erheblichen und unwürdigen Aufwand“. Vorher hatte sich der Angeklagte Andreas Semisch geweigert, sich aus dem Gerichtssaal abtransportieren zu lassen. So wurde er von Beamten kurzerhand aus dem Saal gezerrt. Seine Verteidiger beantragten die Entfernung des Justizbeamten G., der ihn dabei an den Haaren gezogen hatte.

Zu Ausweiskontrolle und Durchsuchung der ZuschauerInnen legten die Anwälte eine Liste von Fällen vor, in denen Personenkontrollen bei Gerichtsverfahren später polizeilich ausgewertet worden waren. Alle Anwälte waren sich trotz der Versicherungen des Vorsitzenden Richters Erich Schieferstein darin einig, daß die Kammer nicht gerantieren könne, daß Daten von Prozeßbesuchern nicht weitergeleitet würden. Sie beantragten deshalb, zwei Gutachter, darunter den hessischen Datenschutzbeauftragten Spiros Simitis, zu laden.

Eine Besetzungsrüge der VerteidigerInnen war zur Mittagspause noch nicht entschieden. Sie hatten festgestellt, daß ihnen die Namen der beiden Ersatzrichter nicht rechtzeitig mitgeteilt worden waren und beantragten eine Woche Unterbrechung des Verfahrens.

Zu Beginn des Verfahrens befand der Psychologie-Professor Willi Schumacher, daß Siegrun G. trotz familiärer Schwierigkeiten verhandlungsfähig sei. Sie ist angeklagt, Mitglied einer „kriminellen

Vereinigung“ zu sein und Strommasten umgesägt zu haben. Der wegen Mordes angeklagte Andreas Eichler ergriff nur einmal das Wort. Auch er monierte die Unterbringung während der Verhandlungspausen.

Nach der Mittagspause mußten sich Schieferstein und der Beisitzer Dr. Klein eine Reihe Befangenheitsanträge gefallen lassen. Sie hatten unter anderem Post- und Briefsendungen zensiert und beschlagnahmt, dabei auch Ausgaben der taz.