Selma, 17 Jahre, Jüdin

■ Am Donnerstag im Pumpwerk WHV: Premiere der Landesbühne Wilhelmshaven mit dem Stück „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“

Theateruraufführung im Wilhelmshavener Pumpwerk: In der entlegendsten Ecke des Raumes sind zwei niedrige Holzpodeste aufgebaut. Auf dem einen sitzt eine junge Frau, einen Blechtopf im Schoß und schält Kartoffeln. Die kleine Tribüne, auf der das Publikum dicht beieinander sitzt, füllt sich allmählich. Eng ist es und kühl. Das Licht geht aus. Aus dem Vorraum kommt, von einem hellen Spot beleuchtet, ein junger Mann herein. Er betritt das andere Podest. Während er seinen Straßenanzug aus-und die Uniform anzieht, berichtet er mit markiger Stimme von seiner Aufnahme in die Reichswehr und seiner Reise nach Czernowitz.

Das Licht wechselt, beide Darsteller sind von jetzt an gleichmäßig beleuchtet. Die junge Frau ist Selma Meerbaum -Eisinger, 17 Jahre, Jüdin. Sie lebt im Ghetto von Czernowitz. Der junge Mann hat keinen Namen. Er ist als Angehöriger der deutschen Reichswehr an der Ermordung der Juden in Czernowitz beteiligt. Er ist ein Täter. Dargestellt werden die letzten Stunden vor Selmas Deportation in ein Arbeitslager. Selma ordnet ihre ärmlichen Habseligkeiten. Ihr wichtigster Besitz sind einige lose Blätter, auf denen sie seit dem 15. Lebensjahr ihre Gedichte aufgeschrieben hat.

Das Stück dokumentiert das Leben der Jüdin Selma Meerbaum -Eisinger (1924-42), stell

vertretend für die vielen (jüdischen und nichtjüdischen) Leben, die durch nationalsozialistische Bestialität beendet wurden. Selmas Leben ist dokumentierbar, weil sie selbst geschrieben hat. siebenundfünfzig Gedichte von ihr haben die Schreckenszeit überlebt. Die Texte sind Dokumente einer gern verdrängten Zeit, sind aber auch um ihrer selbst willen lesbar.

Auf der Bühne wird der tödliche Widerspruch von unbezähmbarer Lebendigkeit und sorgfälig geplanter Menschenvernichtig immer mehr zugespitzt. Während Selma sich in ihren Gedichten an den Freund Lejser erinnert, notiert der Täter die Anzahl der getöteten Juden auf einer großen Tafelwand im Hintergrund. Das Geräusch der Kreide beim Schreiben begleitet die Rezitation der Gedichte. Das ist sehr eindrücklich, das Publikum kann sich in die Grausamkeit des Geschehenen und Gesehenen hineinversetzen.

Das Stück ist zuende, als Selma ihre gesammelten Blätter geordnet und mit einem Band zusammengebunden hat. „Sie hatte keine Zeit zuende zu schreiben.“ Das war auch die letzte Tagebucheintragung der echten Selma.

Christina Burck

Nächste Aufführungen: 26.2., 20.30 Uhr; 7.3., 8.3. jeweils 10 und 20.30 Uhr