DIE DRAMATIK DER ZAPFSÄULE

■ Hans Poelzigs Architekturpläne aus dem ehemaligen Verkehrs- und Baumuseum Berlin

Die infantile Begeisterung über die Entdeckung vergrabener Schätze ist meist größer als der Wert der verloren geglaubten Kostbarkeiten. Den AusstellungsmacherInnen im Museum für Verkehr und Technik war der Enthusiasmus noch anzusehen, als sie „Hans Poelzigs Pläne und Zeichnungen aus dem ehemaligen Verkehrs- und Baumuseum Berlin“ vorstellten, von deren Existenz bislang niemand wußte: 1986 wurde bei der Räumung der Archive im früheren Hamburger Bahnhof eine umfangreiche Plansammlung gefunden, die, in Rollen und Folien verpackt, dort seit Poelzigs Tod im Jahre 1936 langsam vor sich hinschimmelte. Die Entdeckung war um so erstaunlicher, weil der gesamte Bestand des Museums nach dem Kriege der Technischen Hochschule übergeben wurde, den dessen Leiter preußisch -korrekt quittierte.

Allein Poelzigs Büronachlaß wurde vergessen und schlummerte bei den Beamten der Reichsbahn ebenso nutzlos wie der unbrauchbare Ex-Bahnhof. Jetzt befinden sich 1.150 Blätter von insgesamt 51 Projekten Poelzigs, darunter auch acht bislang unbekannte, im Museum für Verkehr und Technik. Dessen MitarbeiterInnen haben die verstaubten Pläne gereinigt und restauriert, katalogisiert und inventarisiert und stellen jetzt in einer Auswahl 160 Zeichnungen und Skizzen, Baupläne und Modelle vor. Nun glänzen die vergilbten Lichtpausen und das transparente Zeichenpapier in alter Frische. Poelzig in neuem Lichte?

Abgesehen von einer kleinen Galerieausstellung in Berlin mit Handzeichnungen des Architekten und einer in Krefeld veranstalteten Gedächtnisschau im Jahre 1951 ist das Gesamtwerk von Poelzig merkwürdig unterbelichtet, trotz der mächtigen Plansammlung von fast 2.000 Blatt, die in der TU lagern. Die AusstellungsmacherInnen aber benutzen den spektakulären Fund nur in zweiter Linie als erneuten Impuls zur fachgerechten Erprobung für unerforschtes und neues Poelzig-Terrain und gehen nicht dem langweiligen Ereignischarakter überdimensionierter Materialschlachten Berliner Ausstellungsshows auf den Leim. Chronologisch dokumentieren sie zusätzliches Material zu einerseits bekannten funktionalistischen Projekten - aus Poelzigs Breslauer Zeit bis 1916, seine Arbeiten an der Akademie in Dresden und die Berliner Zeit, darunter seine Theaterprojekte für Paul Wegener (1920), das Kino Babylon am Bülowplatz (1927-29) oder Das Haus des Rundfunks von 1928-31 - und stellen die Neuheiten darin zur Diskussion. Andererseits ist es ihnen dringlich, Poelzigs Pläne für einen monumentalen Thermenpalast (1927) in einen sozialen, seinen geplanten Umbau für das Parkhotel in der Kantstraße (1926) mit expressiv-gerundeten Formen und bandartigen Horizontalgesimsen in einen ästhetischen und den Wettbewerbsbeitrag mit der ornamentalen Gestaltung für die Neubebauung des Platzes der Republik (1929) in einen aktuellen Kontext zu stellen.

Wichtig ist in der Ausstellung noch etwas anderes. Mit der Zufälligkeit der geglückten Schatzsuche kamen auch ungeordnete Blätter zutage, die Poelzigs Arbeit als Architekt und Künstler in den Mittelpunkt rücken: So fanden sich im Sammelsurium der vielen Pläne Skizzenblätter und kleine spontane Entwürfe, bunte Bilder zu Interieurs und Gemälde zu dramatischen Stadtlandschaften sowie gekritzelte Beschriftungen („in jeden Dienerraum muß ein Kopierer rein!“ IG-Farbenhaus 1929), die Poelzigs Affinitäten zu monumentalen Pathosformeln und expressiver Dramatik relativieren: Aneinandergereiht zeigen die kleinen Blätter, daß Poelzig auf der Suche nach der endgültigen Form in der Architektur einen Prozeß durchläuft, der, ausgehend von historischen Formen, die Zitate verändert, sie „reinigt“ und am Ende neu definiert. Der Entwurf gleicht einem Verfahren ständiger Veränderung mittels der Steigerung. So durchspielt Poelzig bei seinem Projekt für eine Kapelle der Karlsruher Majolika-Manufaktur (1921) erst den barocken, dann den gotischen und neogotischen bis hin zum expressionistischen Formenkanon, quasi rhetorisch, um schließlich eine kristalline Form zu erhalten, die allein die buntglasierte Baukeramik kunstvoll inszeniert, den konstruktiv-technischen Kern aber, die gebogenen Betonrippen, verbirgt. Inszenierung und Form sind hier zu einer stimmungsvollen Identität gelangt, die Poelzig schon Jahre vorher bei der Ausstattung des Berliner Großen Schauspielhauses probierte. Wie bei der Majolikakapelle spielen die vegetabilischen Formen und orientalische Ornamentik Theater im Bau.

Auch Poelzigs Gestaltung der Tankstellen für die „Reichskraftsprit GmbH“, ebenfalls eine Neuentdeckung, stellt über den funktionalen Gebrauch hinaus fast ausschließlich ein Formproblem für ihn dar. Bei der Entwicklung der hohen eisernen Zapfsäulen modelliert er das Thema Säule ästhetisch als eine Art „Vorstadtklassizismus“. So wurde ein auf quadratischer Grundfläche stehendes kantiges Gehäuse entwickelt, das frontal und rückseitig mit über die ganze Breite gehenden Türen verschlossen war. Wurden diese geöffnet, so konnte man sie über 270 Grad bis zur Seitenwand aufschlagen. Zugleich waren die inneren Türwände wie die äußeren mit derselben Farbe gestrichen, so daß der geöffnete dem geschlossenen Zustand der Säule glich. Vom überstehenden Kopfteil wurde die Tanksäule ringsherum beleuchtet und in gleichmäßiges Licht getaucht. Ein stimmungsvolles Filmbild aus Form und Raum.

Ein großes Theater und ein kleines Haus sind die schwersten Aufgaben für einen Architekten“, schrieb Poelzig über die Arbeit in seinem Metier. Daß ihm beides gelungen ist, zeigt die Ausstellung.

rola

Die Poelzig-Ausstellung im Museum für Verkehr und Technik ist bis zum 2.April im „Beamtenhaus“ des Museums zu sehen. Di-Fr 9-18 Uhr, Sa und So 10-18 Uhr. Der Katalog kostet 38 Mark.