GRÜSSE AUS DEM SENIORENHEIM

■ Das „Love Me„-Festival am Freitag im Metropol

Wir schreiben das Jahr 1965, vom „Summer of Love“ träumt noch niemand, die Seeds bringen „Can't seem to make you mine“ heraus und werden noch vor Love und anderen Westcoast-60ties-Punkgrößen die Underground-Sensation dieses Sommers. Die längsten Haare, die man bislang an Männern gesehen hatte, finsterste Blicke und ein ausgeprägtes Drogenimage (es ging das Gerücht, daß auf ihrer zweiten LP ein siebenminütiges, „Acid“ betiteltes Stück erscheinen sollte, was allerdings nie geschah) sorgten dafür, daß sie für zwei oder drei Jahre die coolste, primitivste Band der Westküste mit dem meisten Sex wurden.

Ihre Songs waren von geradezu bösartiger Einfachheit. Zwei Akkorde, ein Break, acht Zeilen, mehr brauchten sie nicht, um großartig stumpfen Psychedelic-Rock zu produzieren. Was sie einzigartig machte, war der Gesang von Richard Marsh, der sich selbst Sky Saxon nannte. Wilde Kiekser, obszönes Geschmachte, mit Schmirgelpapier behandelte Stimmbänder really wild, man!

1968 begann der Abstieg. Sky begann größenwahnsinnig zu werden, beschuldigte alle, von ihm zu klauen (vor allem die Stones und die Doors), dabei war er selbst der dreisteste Meister des Zitats, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Sie brachten ein Blues-Album heraus - in der Hochzeit der Psychedelia sowieso nicht besonders geschickt -, das ziemlich mies war. 1972 lösten sie sich schließlich auf. Danach drehte Saxon völlig ab, forderte Millionen-Vorschüsse von Plattenfirmen, zog mit seiner „family“ herum, der jede Menge Leute und noch mehr Hunde angehörten, arbeitete als Tellerwäscher in Health-Food-Restaurants, hielt sich eine ganze Zeitlang für so etwas wie Jesus und wurde irgendwann für tot erklärt, bevor er schließlich auf Hawaii wieder auftauchte und sich den Beinamen „Sunlight“ gab. Um 1980 herum nahm er sogar wieder Platten auf, voll mit mystischem Geschwafel und total durchgeknalltem, ziemlich unerträglichem Space-Rock, und wenn er Interviews gab, zog er vor allem über Plattenfirmen her und gab komisches Gelaber von Liebe (vor allem zu Hunden) und dem richtigen Weg ins Paradies von sich („Ich weiß, daß ich nur ein kleines Glied in einer göttlichen Kette bin, dazu bestimmt, Musik zu machen“).

Gut, es sind einige Jahrhunderte vergangen seit damals und es ist nicht mehr die Zeit für Gurus oder Propheten, aber Spinner haben ja manchmal etwas Erfrischendes. Und die letzten Platten waren sogar wieder hörbar und bekamen als Lob oft das Prädikat „relaxed“ verpaßt. Nur Alterswerke eines verrückten Rock'n'Rollers, aber daß ich da hin mußte, war klar.

Aber vor dem Brot hat der Herr Arbeit gesetzt (oder so ähnlich) und deshalb wollten erstmal Daisy Chain gehört werden, die ganz fetzigen 60ies-Punk spielten und ohne weiteres den Titel als häßlichste Band Deutschlands für sich beanspruchen können.

Aber danach kam der erste historische Höhepunkt. 1/2 Japanese zusammen mit Mo Tucker (über Velvet Underground, bei denen sie getrommelt hat, muß man hoffentlich nichts mehr erzählen), die inzwischen aussieht wie... Ja wie? Halt wie jemand, der fünf Kinder großgezogen und die letzten 20 Jahre hinterm Herd verbracht hat. Das Gejohle ist groß, als sie auftaucht, und die Inszenierung des ersten Stückes (ein kinderliedmäßiges Rührstück, vorgetragen nur zur Gitarre mit ihrer Kleinmädchenstimme) gleicht der des Ohnesorg-Theaters

-nach jeder Zeile wildes Geklatsche und Schreie und die Künstler müssen erstmal Pause machen, stehen da mit offenem Mund, bis sie weitermachen können. Im Anschluß beruhigt sich die Horde wieder, ein paar schnelle, ein paar langsame Sachen, zwei oder drei Velvet-Cover, und Jad Fair von 1/2 Japanese darf auch mal singen. Richtig großartig ist dann die viertelstündige Lärmzugabe - so müssen VU mal gewesen sein.

Als Sky Saxon noch nicht einmal daran dachte, in die Windeln zu pissen, hatte ein Pennäler namens Link Wray schon seine eigene Band - 1942, gerade mal 13 Jahre alt. Richtige Hits hatte er nur zwei, „Rumble“ 1954 und „Rawhide“ (ja, das ist von ihm) 1959, ansonsten hatte er Pech, daß er was gegen gebügelte Anzüge und kurzgeschorene Haare hatte und ziemlich ausgiebig ein selbstgebasteltes Wahwah-Pedal benutzte, als noch keiner wußte, was das überhaupt ist.

Am 2.Mai wird er 60, aber eigentlich sieht er nur wie ein etwas abgefuckter 40er aus und präsentiert mehrmals voller Stolz seine dänische Frau, der er fast jeden zweiten Song widmet. Musikalisch hat er sich nicht sehr verändert, nur daß man vor 35 Jahren nicht so gute Verzerrer hatte, und die Teds vor der Bühne sind hin und weg und grabschen begeistert nach der Gitarre, die er öfter mal ins Publikum hält. Nachdem er uns versichert hat, daß er uns fast genauso liebt wie seine Frau, weil wir seine Musik lieben, geht er. Und die Billys verlassen fluchtartig das Metropol.

Und dann kommt endlich er. Sky Saxon, der soviele gebrochene Finger zu verantworten hat, weil tausende von Bands seine Songs in feuchtkalten Übungskellern üben. Aber so hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Der kleidsame Jesus -Vollbart ist weg, statt dessen sieht er aus wie Paule Breitner nach dem Rasierwasserwerbevertrag - eine geschorene Haselnuß. Tapert rum wie ein bekiffter Rentner, und von dem Charisma, das er ohne Zweifel mal hatte, ist gerade mal soviel geblieben, daß eine Rauhfasertapetenwand faszinierender wäre. Und seine Stimme, dieses einstmals grandios wilde, rauhe, sexgeladene Organ, ist eine ramponierte, recyclingbedürftige Blechbüchse geworden, adäquat begleitet vom matschigen Sound seiner Band Dragon Slayer. Nach fünf oder sechs Stücken verläßt selbst der langhaarige, vollbärtige mit Glitter behängte Rocker vor mir, der aussah, als hätte er 20 Jahre auf Sky gewartet, die Zombie-Show. Aber auch die Rührung, die mich überkommt, als er die wenigen Hände schüttelt, die sich ihm aus dem Publikum entgegenstrecken, und die Kritikerpflichten können mich nicht mehr halten. Wenn es Zeit wird zu gehen, muß man gehen und nicht „Auf Wiedersehen“ sagen. So long, Sky, war nett dich zu treffen, besser, wir sehen uns nie wieder.

Thomas Winkler