BYE, BYE, HIPPIE

■ Ein Gespenst geht um in Goa: der deutsche Chartertourist

Ins Gerede kam Goas Tourismus im Oktober 1987: Eine sogenannte „Armee der Erwachten Goas“ hatte die ersten Fluggäste der deutschen Charterfluggesellschaft „Condor“ mit Kuhmist und einem Flugblatt empfangen, das in der Aufforderung gipfelte: „Bleibt zu Hause. Wir wollen euer Geld nicht!“

Das Flugblatt war in perfektem Deutsch verfaßt. Dies, sowie der Bezug auf deutsche Medien, läßt vermuten, daß die goanische Widerstandsgruppe deutsche Helfer hatte. Zu finden sind diese mit großer Wahrscheinlichkeit unter der Gruppe deutscher Langzeittouristen, die in Goa „Residents“ genannt werden. Das sind in die Jahre und in die Jobs gekommene Weltenbummler sowie Bhagwan-Anhänger, die in Goa wenigstens für ein paar Wintermonate den alten Traum von Woodstock und Poona realisieren wollen. Die ewigen Hippies

Für die Goaner sind alle weißen Touristen, die nicht nach Geld aussehen, „Hippies“. Die Bedürfnisstruktur dieser Reisenden ist identisch mit den Gegebenheiten auf Goa: von daher mußten keine großen Strukturveränderungen vorgenommen werden. Massen- und Luxushotels wie beispielsweise am Pattaya-Beach in Thailand gibt es bis auf eine Ausnahme in Goa nicht. Die Residents leben bei den Bauern und Fischern oder mieten leerstehende Häuser - diese sind aufgrund der traditionellen Arbeitsemigration in Goa leicht zu haben. Fast jede Familie der ärmeren Bevölkerungsschichten hat Kinder, die in den Golfstaaten oder in Bombay arbeiten müssen. Mitunter bestehen Familien nur noch aus Großeltern und Enkeln, die ihre Eltern oft jahrelang nicht sehen.

Kultstätten der Residents sind die aus ungeklärter Quelle finanzierten Vollmondparties an den verschiedenen Stränden mit Programm und viel, viel Drogenkonsum sowie der mittwochs stattfindende Flohmarkt in Anjuna. Dieser ursprüngliche Tauschmarkt ist heute vorwiegend mit Waren von Indern und „Gipsies“ bestückt. Besucher sind die mit Bussen herangekarrten Travellers, männliche goanische und indische Voyeure, und eben auch die Residents. Der Flohmarkt erfüllt eine wichtige soziale Funktion für die europäische Exilantenkolonie, deshalb wird schon mal gemeinsam Jagd auf die einheimische Polizei gemacht, wenn sie in dieser Enklave gegen Dealer vorgehen will.

Von der vorhandenen Tourismusstruktur profitieren in erster Linie die Bewohner der Küstenorte, die Fisch und Gemüse verkaufen, Zimmer und Häuser, Scooter und Fahrräder vermieten, aber auch die Drogenwallahs aus Bombay, deren Kleindealer in der einheimischen Bevölkerung und die von den Dealern geschmierten Polizisten. Diesen verschiedenen Gruppen ist eines gemeinsam: Sie wollen den Chartertourismus abwehren und den Status quo, das heißt den „Hippie -Tourismus“, erhalten. Aus den unterschiedlichsten Motiven: Während die ärmeren Bevölkerungsschichten der Küstenorte ihre Einkommensquelle und die Drogenmafia ihre Konsumentenszene behalten will, geht es den Residents und Travellers eher darum, weiterhin unkompliziert zu leben und an Dope zu kommen. Aber auch selbstlosere Motive spielen eine Rolle: Goa soll zumindest nach außen so bleiben wie es ist. Das Idyll soll nicht durch Massentourismus gestört werden. Sex, Drugs und Moral

Während die Oberfläche relativ unversehrt scheint, häufen sich in goanischen Zeitungen Leserbriefe, denen zu entnehmen ist, daß Vorbehalte und Vorurteile gegen die Hippieszene tief sitzen. Nudismus und Drogenkonsum werden schärfstens angeprangert, ihr verderblicher Einfluß auf die Jugend immer wieder beschworen.

Laut Presseberichten soll der Drogenkonsum vor allem unter den katholischen Jugendlichen zugenommen haben - sie stehen den westlichen Kultureinflüssen wesentlich aufgeschlossener gegenüber als ihre hinduistisch erzogenen Altersgenossen. Das einzige, von Padres gegründete Rehabilitationszentrum für Drogensüchtige beherbergt zwölf katholische Jugendliche, ein Jugendlicher soll bereits infolge Drogenkonsums gestorben sein.

Vor allem mit ihrer Vorliebe für das inzwischen verbotene Nacktbaden haben jene Touristen, die in Goa „Hippies“ genannt werden, so viel Haß auf sich geladen, daß der Begriff „Hippie“ heute auf Goa ein Schimpfwort ist. Die Kinder werden von ihren Müttern darauf getrimmt, „Bye, bye, Hippie!“ zu rufen, sobald sie auch nur von fern einen Weißen erblicken.

Diese Feindseligkeit geht hauptsächlich von den Frauen aus, denn die Männer profitieren durch Geschäfte und Voyeurabenteuer an den Stränden Goas.

Einem weiteren Vorwurf sehen sich die weißen Touristen ausgesetzt: Weiße seien potentielle Aidsverbreiter. Die Verachtung gegenüber den „white unwashed brigades“ (Zitat aus einer indischen Zeitung) ist unverhüllt. Von den fünf Aidsregistrierten in Indien waren drei ausländische Studenten - Delhi verlangt heute von allen ausländischen Studenten Aidstests, zwei Aidskranke Touristen sind aus Goa abgeschoben worden.

Auch wenn eine Gefahr für die Volksgesundheit durch Drogenkonsum und Aids noch nicht droht, die konservative goanische Presse, allen voran der 'Herald‘, hindert dies nicht, immer wieder ein Schreckensszenario zu verbreiten. Luxustouristen statt Hippies

Moralische Aufruhr und Diffamierung um den Boden für einen Luxustourismus ideologisch vorzubereiten? Der Ruf nach Fünf -Sterne-Tourismus ist bislang nur der Wunsch einer Minderheit. Seine Gegner befürchten, die bereits knappen Ressourcen an fruchtbarem Boden und Wasser könnten der einheimischen Bevölkerung entzogen und für die Großhotels genutzt werden. Außerdem haben sie Angst vor einer Invasion deutscher Sextouristen. Als Beleg hierfür wird auf einen Artikel in der deutschen Sexpostille 'Praline‘ mit einem eindeutigen Titel verwiesen: „Goanische Mädchen sind männergeil!“

Die Gründung der „Armee der Erwachten Goas“ aus Anlaß des ersten deutschen Charterflugzeugs schwimmt auf dem Fahrwasser dieser allgemeinen Abwehr fremder Einflüsse. Für die Residents, die die Aktion unterstützen, könnte der Schuß nach hinten losgehen. Die Aktionen dienen als medienwirksamer Anlaß, die bereits bestehende Ausländerfeindlichkeit voranzutreiben. Beispiel: Einheimische aus dem Küstenort Mapusa verprügelten im Dezember 1987 eine deutsche Touristengruppe, die Weihnachten in einem angemieteten Lokal feiern wollte. Diese Deutschenhaßwelle wird auch die Hippies aus diesem Land spülen, wenn die Goaner wirklich ernst machen. Schon jetzt werden mediale Attacken gegen die Hippies emotionaler geführt als gegen den Fünf-Sterne-Tourismus. Und ein Fünf -Sterne-Hotel wäre auch in den geplanten Ausbau der einseitigen Wirtschaftsstruktur leichter zu integrieren. Dazu ist im Süden der Insel ein erstes Atomkraftwerk geplant. In einer Industriezone Goa wären Five-Star-Hotels gar nicht mehr abwegig: Die Autonomie und Selbstgenügsamkeit dieser sich ihre Exotik durch künstliche Folklore selbst schaffenden Betriebe kann auch neben Atomkraftwerken ungestört funktionieren.

Doris Tylski