: Verführerisch schöne Klänge
■ Von der Theorie Joachim-Ernst Berendts zurück zur Shakuhachi-Tradition, von den alten Ragas des Chatur Mallik und den schönen neuen Kitaro-Klängen Von Klaus Wolschner
Jeder Mensch ist Musik. Intuitive Menschen können diese Musik hören.“ Der Pfarrerssohn Joachim-Ernst Berendt hält seit einigen Jahren Vorträge, um europäische Ohren für diese alte indische Weisheit des Ustat Villayat Khan zu öffnen. Das Ohr ist der Weg, Nada Brahma - Die Welt ist Klang. Muß das Plädoyer des Radio-Mannes fürs „Hören“ ausgerechnet im Fernsehzeitalter nicht vergeblich sein? Das Überraschende, das viele ungläubige Zeitgenossen vielleicht doch hinhören läßt, ist, wer hier den Weg nach Innen empfiehlt. Zwei Jahrzehnte lang wäre niemand auf die Idee gekommen, dem „Jazz-Papst“ mit Sachbüchern auf internationalen Bestsellerlisten abzusprechen, daß er viel von Musik verstehe.
Und nun? „Wir nehmen die Welt falsch wahr. Früher haben es uns die Mystiker gesagt. Jetzt sagen es uns auch die Physiker“, sagt der Musikkritiker Berendt. Die Fülle der Analogien, der ethymologischen Hinweise, die Berendt aus unserer Sprache ausgebreitet hat, sind betörend.1 Offenkundig macht es ihm Vergnügen, wie eine Literaturliste aufzuzählen, wessen Klang und Musik da als Beispiel vorgeführt wird: Hozan Yamanoto, Georg Friedrich Händel, Hans Peter Klein, Prakash und Vikash Maharaj, Michael Vetter, Roberto Laneri, Paul Horn, Johann Sebastian Bach, Oliver Messaiaen, Sufi-Gesänge, israelische Kantore, Ali Akbar Khan, Klänge der Erde, der Sonne, des Erdmagnetismus, der DNS-Moluküle, Musik von Walen, Nachtigallen, Tannenameisen...
Die Botschaft all dieser Musiksprache ist in den dürren Worten der Sprech-Sprache kurz gesagt: „Wir nehmen die Welt falsch wahr. Wer vorrangig sieht, täuscht sich. Er reduziert seine Lebensintensität.“ Nur durch die Harmonien der Musik können die rhythmischen Bewegungen der Natur, die harmonischen Formen etwa eines Blütenblattes dem menschlichen Empfinden authentisch nahegebracht werden. Der menschliche Sehnerv ist für diese inneren Strukturen bestenfalls ungenau, oft schlicht blind.
Und zu den musikalischen Formen, die menschliche Urerfahrungen auszudrücken vermögen, gehören für Berendt durchaus Händel-oder Bach-Werke. Aber vor allem klassisch religiöse und moderne, aktuelle Musikstile, die sich von solchen Naturformen und -tönen inspirieren lassen.
Shakuhachi-Stücke sind eine klassische Schule des Hinhörens.2 Karajan würde mindestens 20 Spieler nebeneinandersetzen, jeder Rock-Veranstalter eine Mehrzahl elektronischer Verzerrer und Verstärker anschließen - die japanische Flöte aber ist ein klassisches Solo-Instrument. Ihr geht es nicht um virtuose Effekte, die können auch darunter sein, aber um Variation und Entwicklung. Der Flötenton umkreist in scheinbar immer wiederkehrenden Bewegungen einen Ton, bündelt die Aufmerksamkeit so auf das ganz Einfache, scheinbar Elementare, um dessen Vielgestaltigkeit vorzuführen. Shakuhachi klingt nicht als Beiwerk zur festlichen Tafel oder im Hintergrund beim Austausch von Freundlichkeiten, paradoxerweise erfordert das ganz Einfache ganz viel Konzentration. Und lehrt Hinhören.
Von den fernöstlichen Traditionen des Obertonsingens hat vor allem Michael Vetter gelernt.3 Vetters Oberton -Modulationen leuchten einen einzigen Ton in seinen hintergründigen Schwingungen aus, entkleiden ihn zunächst beinahe hörpädagogisch von jedem störenden Rhythmus- und Tonwechsel, teilen den Ton nur in die mitschwingenden Obertöne auf, die ihr Eigenleben beginnen und um den Grundton herumtänzeln. Der eigene Stil Vetters komponiert, wenn dann Tambura und Rhythmus hinzukommen, Melodieführungen, die manchmal an gregorianische Gesänge erinnern und manchmal ganz eigenwillig an die Stockhausen -Schule Vetters.
Auch Peter Pannke hat sich in seiner Music for Unborn Children4 die Musiktraditionen des fernen Asiens zu eigen gemacht und eine „harmonische Erfahrung“ für westliches Psycho-Publikum gemacht. Mit ungeborenen Kindern hat seine Musik nur soviel zu tun, daß die elektronisch in tiefere Baßlagen transponierten Klänge der Tambura besonders schön mit dem Bauchfell schwingen, wo bekanntlich Ungeborenes schwimmt. Aber die Wiederholungen seiner „musikalischen Erfahrungen“ lassen kaum hellhörig werden, sie ermüden auch das kann, wenn es sich mit einer Absicht verbindet, einen meditativ-therapeutischen Nutzen haben.
Vieles von der authentischen fernöstlichen Musik ist wahrscheinlich nichts für „Einsteiger“. Aber wer sich bei den diversen harmonisierten und westlich verschnittenen Versionen der „Meditationsmusik“ daran gewöhnt hat, daß Musik nicht nur so klingen muß wie Brahms oder der sowjetische Neo-Rock, der kann sich die Ragas von Chatur Mallik5 zumuten: die krächzende, leiernde Stimme zu den Tabura-Klängen im Hintergrund, die drückt und drängt, die die schlichtesten und direktesten Liebestexten mit gepreßtem Ton begleitet. In Indien ist Chatur Mallik einer der wenigen Zeugen einer Musik, die der Vergangenheit angehört. Es war die Musik derer, die Berufsmusiker bezahlen konnten, der Herrschaftshöfe. Für unser Klangverständnis unverständlich, auch wenn die Stimme plötzlich für einen kurzen Moment in Schleifen zu lebensfrohen Höhen aufsteigt, um dann wieder weiterzuhetzen, wahrscheinlich, um die tanzenden Männer in ihrem Rausch weiterzutreiben.
Wer greift da nicht lieber zu süßlichen Klängen wie jenen des Japaners „Kitaro“, bei dem das unterlegte Meeresrauschen an den letzten Kreta-Urlaub erinnert und wo Kling-Klang -Harmonien so herrlich einfach und eingängig sind - das sind die fremden Kulturen, die den europäisch zivilisierten und zerrissenen Menschen auf der Suche nach dem Einfachen, dem Wahren und Schönen helfen.
(1) „Nada Brama - Die Welt ist Klang“ und „Vom Hören der Welt - Das Ohr ist der Weg“ und Mitschnitte von jeweils fünfstündigen Radiosendungen von Joachim-Ernst Berendt über „harmonikale“ Strukturen des Lebens und in der Musik (auf MC, auch auf je vier CDs bei Zweitausendeins, 1988).
(2) Zum Beispiel Zen, „Katsuya Yokoyama plays classical Shakuhachi Masterworks“ (LP 1982, CD 1988 bei Wergo).
(3) Michael Vetter, „Overtones“ (LP, CD 1988 bei Wergo).
(4) Peter Pannke, „Music for Unborn Children“, Aufnahme Radio Bremen 1982 (CD 1988 bei Wergo).
(5) „The King of Dhrupad“, Ram Chatur Mallik (CD 1988 bei Wergo).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen