Ausflaggen in der Luft

■ Mit Billigfirmen bereitet sich die Lufthansa auf den Preiskampf im europäischen Binnenmarkt vor

Teil 6: Thomas Gesterkamp

Das Reisen mit der Lufthansa ist ein teures Vergnügen. Nur Leute, die auf Kosten ihrer Firma starten, können sich die hohen Tarife im Linienverkehr auf Dauer leisten. Doch diese Zielgruppe allein ist für die Fluggesellschaft keine Zukunftsperspektive. Denn schneller als der Markt der Geschäftsreisen expandiert in der Luft der Tourismus. Urlauber aber sind erheblich preisbewußter als Manager. Mit Sonderangeboten wie „Flieg + Spar„-Rabatten versucht die Lufthansa, diese Kunden zu halten - ohne großen Erfolg. Die Flughäfen im benachbarten Ausland werben immer mehr deutsche Touristen mit Billigtickets ab.

Verschärfen wird sich dieser Konkurrenzkampf mit dem kommenden Binnenmarkt. Wenn 1993 der europäische Flugverkehr nach US-amerikanischem Vorbild „dereguliert“ wird, fallen Privilegien der Lufthansa weg. Bisher hat die Staatslinie auf Inlandsflügen quasi ein Monopol. Abgesehen von den frisch gegründeten, aber noch weitgehend unbedeutenden bundesdeutschen Konkurrenten wie German Wings oder Aero Lloyd beherrscht die Lufthansa den Markt.

Ausländische Fluggesellschaften können hierzulande in der Regel nur dann Passagiere befördern, wenn sie auf Interkontinentalflügen zwischenlanden oder in das eigene Land zurückkehren. Mit der Einführung der sogenannten „Mehrfachdesignierung“ aber ändert sich die Lage. Im Binnenmarkt können sich auch Gesellschaften aus den dann nicht mehr als „Ausland“ geltenden Nachbarstaaten am Linienverkehr innerhalb der Bundesrepublik beteiligen. Dann darf zum Beispiel auch British Airways vom Hamburg nach Köln fliegen oder Alitalia die Strecke München - Frankfurt bedienen.

Bisher gab es derartige Möglichkeiten nur für die Fluggesellschaften der Besatzungsmächte im Berlin-Verkehr. Denn die Mauerstadt darf die Lufthansa wegen des alliierten Sonder-Status nicht in ihren Flugplan aufnehmen. Mittlerweile ist sie in diesen lukrativen Markt - jährlich rund fünf Millionen Passagiere - über Umwege doch eingestiegen. Zusammen mit der Air France gründete die Lufthansa die „Euroberlin France“, die zwar offiziell ihren Sitz in Paris hat, sich aber auf den Flugverkehr mit der ehemaligen Hauptstadt konzentriert - zum Ärger vor allem der amerikanischen PanAm, die bisher alleine 68 Prozent der innerdeutschen Flüge nach West-Berlin bestritten hat.

Weitere Kooperationen dieser Art hält Lufthansa -Pressesprecher Klaus-Ulrich Möller innerhalb des EG -Binnenmarktes nun für wahrscheinlich. An eine Fusionswelle wie in den USA, wo seit der „Deregulierung“ von 1982 die Zahl der Fluggesellschaften auf fast die Hälfte gesunken ist, glauben die bundesdeutschen Luftfahrtmanager aber nicht.

Die Lufthansa will sich künftig als „europäische Fluggesellschaft mit deutscher Prägung“ verstehen - so heißt es in einem Strategiepapier zum Binnenmarkt. „Euroberlin France“ ist nicht das einzige Beispiel für die verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern aus den Nachbarländern. Anfang 1988 wurde zusammen mit Iberia die spanische Chartertochter „Viva“ (Vuelos Internationales De Vacaciones) gegründet. Seit dem letzten Frühjahr befördert die neue Lufthansa -Tochter nicht nur deutsche, sondern auch britische und skandinavische Urlauber an das Mittelmeer. Weil es in Großbritannien im Gegensatz zur Bundesrepublik kein Nachtflugverbot gibt, sind die „Viva„-Maschinen besonders gut ausgelastet.

Ein anderes Beispiel für europäische Kooperation ist das Reisebuchungssystem „Amadeus“. Es soll nicht nur Flüge, sondern auch Hotels, Mietwagen und andere Serviceleistungen europaweit koordinieren. An dem Computerverbund beteiligt sind neben der Lufthansa die Air France, Iberia und die skandinavische SAS. „Amadeus“ muß sich allerdings gegen die Konkurrenz von „Galileo“ behaupten. Hier sind unter anderem British Airways, die niederländische KLM, die belgische Sabena und Alitalia vertreten.

Schon seit 1970 existiert eine gemeinsame Firma zur Wartung von Flugzeugen - an „Atlas“ beteiligen sich neben der deutschen Lufthansa vier weitere europäische Fluggesellschaften. Kooperiert wird verstärkt auch im Frachtgeschäft. An der luxemburgischen Firma „Cargolux“ hält die Lufthansa seit 1987 ein Viertel der Anteile - aus einem einfachen Grund: In dem Großherzogtum kann billiger abgefertigt werden, weil Gebühren und Lohnkosten niedriger liegen als in der Bundesrepublik. Die „Cargolux“ überläßt deshalb der Lufthansa-Tochter „German Cargo Services“ per Leasing ihre Flugzeuge - einschließlich der Besatzung. Vorteil für die Lufthansa: Die Arbeitsverträge fallen nicht unter das deutsche Tarifrecht - das Personal ist billiger.

Nach Angaben der Geschäftsleitung hat dieses System die Wettbewerbsfähigkeit der Fluggesellschaft auf dem bereits freigegebenen europäischen Luftfracht-Markt erheblich verbessert. „Wir haben einfach zu hohe Kosten in Deutschland“, klagt Pressechef Klaus-Ulrich Möller: „In Singapur liegen die Gehälter auf einem Fünftel unseres Niveaus.“ Und auch europäische Mitkonkurrenten, so der Lufthansa-Sprecher, sparten massiv beim Personal: „British Airways hat 20.000 Leute entlassen, aber das ist bei uns nicht durchsetzbar.“

Um in dem befürchteten Preiskampf mithalten zu können, will die Lufthansa das „Cargolux„-Modell jetzt auch im Charterverkehr durchsetzen. In diesem Jahr will sie eine neue Tochter namens „Südflug“ wieder zu neuem Leben erwecken - der Name einer ehemaligen Lufthansa-Tochter, die vor 20 Jahren ihren Betrieb eingestellt hat und lediglich als ruhende Gesellschaft geführt wurde. Sitz des Unternehmens soll zwar nicht in Luxemburg, sondern bei Condor in Neu -Isenburg sein, aber den Lohntarifen der Lufthansa wird man trotzdem ausweichen können. Verhandelt und gestritten wird derzeit über Gehaltsfragen: Piloten, Stewardessen und das Bodenpersonal sollen bei „Südflug“ schlechter bezahlt werden als bei der Lufthansa und ihrer Charter-Tochter „Condor“. Von einem „gespaltenen Tarifsystem“ spricht deshalb Bernd Hardt, der Sprecher der DAG-Berufsgruppe auf dem Frankfurter Flughafen. Für eine relativ starke Verhandlungsposition der Gewerkschaften sorgt freilich der sich zuspitzende Pilotenmangel. Weil die Lufthansa die Steigerungsraten im Flugverkehr unterschätzt hat, bildete sie in der Vergangenheit nicht genügend qualifiziertes Personal aus. Für fünf neu gekaufte Flugzeuge des Typs Boeing 757, die überwiegend im „Südflug„-Urlauberverkehr eingesetzt werden sollen, muß das Unternehmen jetzt Piloten von anderen Gesellschaften abwerben. Um so wenig neue Mitarbeiter wie möglich einstellen zu müssen, versucht die Geschäftsleitung zudem, längere Dienstzeiten für die Flugkapitäne durchzusetzen - die Pilotenvereinigung „Cockpit“ hält das aus Sicherheitsgründen für nicht vertretbar.

Um die Lohnkosten zu drücken, hatten einzelne US -amerikanische Firmen Anfang der achtziger Jahre noch rigidere Praktiken angewandt. Sie meldeten angesichts des ruinösen Wettbewerbs einfach Konkurs an und entließen ihre Beschäftigten. Kurze Zeit später aber boten sie dieselben Arbeitsplätze zu verschlechterten Bedingungen wieder an. Die Strategie der Lufthansa, Tochterfirmen zu gründen, läuft nach Ansicht der Gewerkschaften auf das gleiche Ergebnis hinaus. In dem Bemühen, auf dem Binnenmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, so kritisieren sie, wolle das Unternehmen einen Teil seiner Flugzeugflotte einfach „ausflaggen“ - ähnlich wie in Seefahrt, wenn deutsche Reeder einen Teil ihrer Schiffe auf die „Billigflaggen“ Panamas oder Liberias ummelden.