Seit Tagen Generalstreik in Kosovo Belgrad droht mit Militärintervention

Konflikt zwischen Kosovo-Albanern und Serben spitzt sich zu / Hunderte Bergarbeiter im Hungerstreik / Öffentliches Leben in der Provinz lahmgelegt /Milosevic und Suvar eingetroffen  ■  Von Roland Hofwiler

Budapest (taz) - Als Antwort auf den seit Tagen befolgten Generalstreik in der autonomen serbischen Provinz Kosovo haben mehrere Parteizeitungen in Belgrad mit einem Militäreinsatz gedroht, falls die Streiks und Demonstrationen, die das öffentliche Leben lähmen, nicht abgebrochen würden. Zehntausende Arbeiter fordern, die seit 1974 gültige Staatsverfassung beizubehalten, die der albanischen Minderheit im Vielvölkerstaat relative Autonomie zugesteht. In der Provinz Kosovo stellen die Albaner mit 90Prozent die eindeutige Bevölkerungsmehrheit, zehn Prozent sind serbischer Nationalität. Die mehr als 1.300 seit sechs Tagen in den Blei- und Zinkgruben bei Trepca hungerstreikenden Bergleute haben unterdessen den Rücktritt des Parteichefs der Provinz, Rahman Morina, gefordert, sonst gehe ihr Protest weiter.

Die Warnung der Belgrader Zentrale, alle verfassungsrechtlichen Mittel einschließlich eines Militäreinsatzes einzusetzen, erfolgt unverhüllt offen, nachdem am Donnerstag elf meist junge Albaner in einem nicht -öffentlichen Prozeß wegen angeblicher Gründung einer „marxistisch-leninistischen Untergrundpartei“ zu Haftstrafen zwischen vier Monaten und acht Jahren verurteilt worden waren. Für die Mehrheit der zwei Millionen Albaner in Jugoslawien sind die Anklagepunkte aus der Luft gegriffen. Sie protestieren vor allem gegen die zunehmenden Versuche nationalistischer Serben unter Federführung ihres Parteichefs Slobodan Milosevic, mehr Einfluß auf das Kosovo auszuüben. Der Konflikt zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte beider Nationalitäten. Da den Protesten der Kosovo-Albaner zu wenig Gehör geschenkt wurde, habe man sich zum Streik entschlossen, heißt es in einer Erklärung der Arbeiter in der Mine Trepca. Der „offen chauvinistisch und rassistisch vorgetragenen Linie führender Politiker, die die Ehre und Geschichte des albanischen Volkes mit Füßen treten“, müsse entgegengewirkt werden. Die Arbeiter fordern seit Tagen den Dialog mit Milosevic und dem gesamtjugoslawischen Parteichef Stipe Suvar. Nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ mußten 150 der Kumpel medizinisch versorgt und 16 in Krankenhäuser eingeliefert werden. „Gespräche am runden Tisch“ seien der einzige Ausweg, nationalistische Spannungen beizulegen, erklärten die Arbeiter weiter.

Wie gestern mittag Radio Pristina meldete, sollen Milosevic und Suvar bereits in Kosovo eingetroffen sein, sich aber bisher nur mit lokalen Parteigrößen getroffen haben. Auch Staatschef Ralf Dizdarevic und der serbische Präsident Petar Gracanin sind aufgrund der „bedrohlichen“ Lage in die Hauptstadt Kosovos, Pristina, eingetroffen. Die Bewohner der Stadt haben sich einem Streikaufruf vom Donnerstag zufolge in ihren Wohnungen „verbarrikadiert“. Radio Pristina zufolge seien alle Lokale geschlossen, in nur wenigen Fabriken und Genossenschaften werde gearbeitet, das Verkehrssystem liege lahm, und die Kinder gingen nicht zur Schule.

Von Solidaritätsbekundungen für die streikenden Arbeiter ist bisher aus anderen Teilen Jugoslawiens wenig bekannt geworden. Selbst von der neugegründeten Sozialdemokratischen Partei Sloweniens lag bis Redaktionsschluß keine Stellungnahme vor.