Beerdigung belebt Shinto-Kult

Das internationale Gewimmel bei der Tenno-Beisetzung kann dem angeschlagenen Ministerpräsidenten Takeshita nützen / Regierung zahlte 140 Millionen Mark für das Spektakel  ■  Von Jürgen Kremb

Berlin (taz) - Mit einer langen Folge von Trauerfeierlichkeiten hat Japan gestern Abschied von Kaiser Hirohito genommen, der nach 62 Jahren auf dem Chrysanthementhron am 7.Januar in Tokio einem Krebsleiden erlegen war. Zu der nach Ansicht japanischer Zeitungen „größten Trauerfeier aller Zeiten“ hatten sich von Bundespräsident Weizsäcker bis zu Cubas Staatschef Fidel Castro 163 Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Mitglieder von Königshäusern sowie 10.000 geladene Trauergäste in der japanischen Hauptstadt versammelt. Vertreter von Australien, Neuseeland und den Niederlanden waren der Beerdigung wegen der Rolle des Tenno Heiko im Zweiten Weltkrieg ferngeblieben.

Eine schwarze Limousine mit dem Kupfersarg Hirohitos war bei Nieselregen am gestrigen Morgen aus den Palastanlagen im Herzen Tokios gerollt. 21 Salutschüsse begleiteten die Wagenkolone von 32 Fahrzeugen, die an einer schweigenden Menschenmenge vorbeizog. Die japanische Regierung hatte mit einem noch nie dagewesen Aufgebot an Polizei „für Todesstille“, so eine Tokioer Zeitung, gesorgt. 32.000 Polizisten bewachten den Trauerzug. Dennoch kam es zu einer Explosion an einer Brücke entlang der Strecke. Ein 37jähriger Mann, der sieben Brandsätze geworfen haben soll, wurde nach Angaben der Polizei festgenommen.

Im Shinjuku-Park, in dem die eigentliche Trauerfeierlichkeit zelebriert wurde, gab es zunächst hinter einem Vorhang ein Shinto-Ritual. Bevor die staatliche Trauerfeier beginnen konnte, mußte in einer zehnminütigen Pause ein Torii-Torbogen, das Symbol der Shinto-Religion, abmontiert werden. Als eindeutigen Verfassungsbruch werteten es Kritiker aus dem In- und Ausland, daß bei den Feierlichkeiten der Shinto-Kult so wieder zur Staatsreligion erhoben worden sei. „Dunkle Wolken ziehen in Tokio auf“, schrieb die südkoreanische Tageszeitung 'Joongang Ilbo‘.

Der Glaube, in dem der japanische Kaiser als Verkörperung der Sonnengöttin Amaterasu verehrt wird, galt in den asiatischen Ländern immer als Symbol für die Kriegsverbrechen, die zwischen 1931 und 1945 im Namen des Tenno begangen worden waren. In einer Kapitulationserklärung hatte sich der Kaiser 1945 angesichts der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki selbst zum menschlichen Wesen gemacht und alle Kriegsschuld auf sich genommen. Der amerikanische Oberkommandierende General MacArthur hatte daraufhin zwar die Verurteilung des Tenno als Kriegsverbrecher verhindert, doch wurde gleichsam eine Trennung von Staat und der unglückseligen Shinto-Relgion, die eine Überlegenheit der japanischen Rasse predigt, in der Verfassung festgeschrieben. Ferner wurde Nippon eine Wiederbewaffnung verboten.

All das scheint bei der Trauerfeier vergessen zu sein. Erstmals waren bei dem Ereignis auch 1.500 japanische Soldaten in der Öffentlichkeit in Uniform zu sehen. Im Land der aufgehenden Sonne, so behaupteten die Regierungen der Nachbarländer China, Südkorea und Taiwan in der Vergangenheit immer wieder, habe es nie eine wirkliche Aufarbeitung der japanischen Kriegsgreuel gegeben. Indem nun das verkörperte schlechte Gewissen des Landes gemäß den alten Vorkriegsriten zu Grabe getragen wird, befürchten viele in- und ausländische Politiker und Intellektuelle, schwinge sich die Wirtschaftsmacht Japan nun auch wieder zur militärischen Großmacht auf. Anzeichen dafür gibt es genug. So verfügt die sogenannte Selbstverteidigungs-Streitmacht über das viertgrößte Militärbudget der Welt. Als die Verhandlungen zwischen der amerikanischen Regierung und den Philippinen im letzten Jahr über die Frage der Stützpunkte zu scheitern drohten, ließen japanische Politiker durchblicken, daß auch Nippon in Zukunft die Rolle der siebten US-Flotte im Pazifik übernehmen könne. „Das werden die anderen Länder Asiens nie zulassen“, hatte damals der südkoreanische Oppositionsführer Kim Dae-Jong betont.

Dennoch bemüht sich die Regierung von Ministerpräsident Noburo Takeshita schon seit langem, ihre außenpolitische Rolle als Großmacht in der Region auszubauen. So hatte Tokio bei der Lösung der Konflikte in Kambodscha, Burma und Afghanistan erstmals nicht nur Geld für den Wiederaufbau angeboten, sondern wollte auch bei der politischen Lösung beteiligt sein.

Daß die liberal-demokratische Regierungspartei (LDP) dem 140 Millionen Mark Beerdigungs- und anschließendem Krönungsspektakel von Kaiser Akihito zustimmte, wird von Beobachtern auch unter innenpolitischen Aspekten gesehen. Seit Monaten werden im Parlament wegen des Recruit-Cosmos -Börsenskandals fast täglich der Rücktritt des Premiers und Neuwahlen gefordert. Wie Untersuchungsausschüsse herausfanden, haben Taheshita wie zahlreiche andere Politiker im letzten Jahr durch den illegalen Ankauf von noch nicht an der Börse notierten Aktien des Cosmos-Konzerns Gewinne in Millionen-Höhe eingestrichen. Obwohl noch nicht bewiesen ist, welche Gefälligkeiten die Politiker den Industriellen dafür gewährt haben, ist die Popularität der LDP erheblich gesunken. Bei einer Nachwahl in einem als sicher geltenden Wahlkreis hatte die Regierungspartei von zwei Wochen bereits eine empfindliche Wahlschlappe einstecken müssen.

Von den internationalen Spitzengesprächen am Rande des Hirohito-Begräbnisses wird in Tokio schon als „Takeshita -Diplomatie“ gesprochen. Diese außenpolitischen Pluspunkte, meinen Beobacher, hätten den Premier auch innenpolitisch wieder in weniger stürmische Gewässer manövriert.