Verunsichert

Auch in Prag ist Solidarität erwünscht  ■ K O M M E N T A R

Schriftsteller leben wieder gefährlich. Nicht nur in der islamischen Welt. Unter dem empörten Aufschrei angesichts des Mordauftrags gegen Salman Rushdie ist das surreale und gleichwohl ernste Theater um Vaclav Havel und seine Prager Freunde in der Öffentlichkeit untergegangen. Dabei sind in der CSSR Terrorurteile gefällt worden, die selbst für dieses Antiglasnost-Land ungewöhnlich hoch sind. Und wer erinnert sich heute noch an die Morddrohungen gegen vier taz-Autoren vom November 1988? Damals versuchte eine Organisation „Fii lui Avram Iancu“ den im westlichen Exil lebenden rumäniendeutschen SchriftstellerInnen Herta Müller, Helmuth Frauendorfer, William Totok und Richard Wagner das freche Maul zu stopfen.

Im Vergleich zum Iran und auch zu Rumänien mögen die Verhältnisse in der CSSR zwar geradezu human erscheinen. Doch angesichts der sozialistisch-humanistischen Tradition des Landes, die trotz des sowjetischen Einmarsches 1968 in der tschechischen Gesellschaft weiterlebt, sollen die Urteile eine ähnliche Signalwirkung haben: Sie sollen einschüchtern und die Opposition isolieren.

Sie sollen, aber es gelingt nicht! Die tschechoslowakische KP reagiert aus Verunsicherung, nicht aus Stärke. Die Solidarisierungen im Lande sind so nicht mehr zu brechen. Glasnost und Perestroika klopfen an die Prager Burg. Und dort weiß man schon, daß die Uhren abzulaufen beginnen. Wenn gleichzeitig mit den Urteilen neue versöhnliche Töne aus dem Hradschin klingen, werden erste Risse im Beton von Partei und Staat sichtbar. Doch im Kampf um die Erneuerung der tschechoslowakischen Gesellschaft wird den Reformkräften nichts geschenkt: Auch in Prag ist weltweite Solidarität erwünscht.

Erich Rathfelder