Rauchwolke über Bayer-Konzern

Neue Enthüllungen über den Großbrand vom Dienstag / Staatsanwaltschaft ermittelt  ■  Aus Düsseldorf J.Nitschmann

Der Großbrand bei Bayer in Krefeld-Uerdingen vom Dienstag vergangener Woche, zu dem es nach der Explosion eines Kessels mit Lackrohstoffen kam, ist offenbar auf gravierende Fehler und Versäumnisse des Betriebspersonals zurückzuführen. Der Sprecher der Krefelder Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Wäscher, bestätigte am Freitag gegenüber der taz, daß seine Behörde gegen verschiedene, namentlich benannte Mitarbeiter des Uerdinger Bayer-Werkes ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung und Inbrandsetzung eingeleitet habe.

Bei dem Brand auf dem Werksgelände der unmittelbar am Rhein gelegenen Chemie-Fabrik waren 17 Menschen zum Teil schwer verletzt worden; der Sachschaden wird auf über 100 Millionen Mark geschätzt. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft steht bisher „zweifelsfrei“ fest, daß der Temperatur -Grenzwert bei dem später explodierten Produktionskessel bereits um 5.45Uhr erstmals deutlich überschritten worden war. Von der Betriebsmannschaft seien jedoch erst eindreiviertel Stunden später, etwa gegen 7.00Uhr, Maßnahmen zur Reduzierung der Temperaturen in dem überhitzten Kessel eingeleitet worden. Der offensichtlich durch die Überhitzung ausgelöste chemische Reaktionsprozeß ließ sich jedoch nicht mehr stoppen und führte um 7.56Uhr zu der folgenschweren Explosion.

Dieser Ablauf war der Öffentlichkeit bislang von der Bayer -Werksleitung verschwiegen worden. Noch am Dienstag hatte ein Sprecher des NRW-Umweltministers Klaus Matthiesen (SPD) entsprechende Informationen der taz als „offensichtliche Gerüchte“ zurückgewiesen und als „Fehlanzeige“ bezeichnet.

Bereits zwei Tage später jedoch mußte sich das Umweltministerium korrigieren: Es sei zutreffend, daß Gewerbeaufsicht und Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Bayer-Konzerns eingeleitet hätten. Inzwischen war bekannt geworden, daß die Nachtschicht der sie ablösenden Frühschicht keinerlei Mitteilungen über die deutlich erhöhten Temperaturen in dem Produktionskessel gemacht habe, weil sie die Überhitzung offenbar völlig unterschätzt hatte. Dieses Geschehen erinnert fatal an das Versagen der Betriebsmannschaft im Atomkraftwerk Biblis.

Bayer-Mitarbeiter berichteten unterdessen gegenüber der taz, daß die Überhitzung des insgesamt 15 Kubikmeter umfassenden Kessels zur Herstellung von Lack-Rohstoffen offensichtlich „nichts Besonderes“ gewesen sei. So seien die Pumpen für die Kühlung des Kessels in den Monaten zuvor bereits mehrfach ausgefalllen. Zudem wurde bekannt, daß in unmittelbarer Nähe des explodierten Produktionskes Fortsetzung auf Seite 2

sels angeblich noch giftige Chemikalien „unsachgemäß und entgegen der einschlägigen Bestimmungen“ abgelagert worden sein sollen: „Wenn diese Stoffe von dem Brand erfaßt worden wären, hätte über Duisburg eine Zyankali-Wolke gestanden“, sagte ein Bayer-Mitarbeiter.

Nach Darstellung der Bürgerinitiative „Koordination gegen Bayer

Gefahren“ waren bei dem Großfeuer mindestens 50 verschiedene Chemikalien verbrannt, überwiegend Kunstharze, Fettsäuren, Öle, aber vermutlich auch Lösemittel und Weichmacher. Die NRW-Grünen wiesen außerdem auf krebserregende Spurenverbindungen hin, die mitverbrannt seien, sowie auf zahlreiche Zusatzstoffe von gesundheitsgefährdender Bedeutung.

Ein Sprecher der Initiative erklärte am Freitag, es werde erneut deutlich, „daß der Bayer-Konzern der Bevölkerung relevante Informationen verschweigt, um sich ein möglichst makelloses Image zu geben“. Die Konzernleitung habe um die Geschehnisse des Großbrandes von Anfang an „im wahrsten Sinne des Wortes eine Rauchwolke gelegt“.

Auch nach den bekanntgewordenen Zwischenergebnissen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen lehnte die Pressestelle des Bayer-Konzerns jede Stellungnahme ab.