Ein Trauerkloß namens Nationalmannschaft

Too old to rock'n'roll, too young to die: die gescheiterten bundesdeutschen Auswahlhandballer  ■  Aus Straßburg Petra Höfer

Da stehen sie und schlucken. Ein nationalmannschaftsgroßer Trauerkloß. Tormann Andreas Thiel setzt zum entsprechend umflorten Blick in die verhagelte Handballzukunft die Goldrandbrille ab, reibt sich die Augen und wohl gerade das Herz wund, rauft die Haare, erklärt seinen Rücktritt.

Ein langer, unglückseliger Weltklasse-Torhüter, dem einfach gerade passiert, was er seit der Niederlage gegen Island an den nieselgrauen Himmel über Straßburg malt: „Wenn es diesmal nicht klappt, dann werden wir als die Versager der letzten fünf Jahre in die Handballgeschichte eingehen.“ Überall Gesichter in Handballerhänden vergraben, eine Girlande von Rücktrittserklärungen (Ivanescu, Thiel, Hecker, Schwalb...), ein Abend für tragische Figuren. Eine Generation packt ihre Sporttaschen.

„Jeder steht gern im Rampenlicht“, trübsalt Martin Schwalb für das Häuflein Journalisten, das dem zerknautschten Mittelspieler den gerade erklärten Rücktritt wieder ausreden möchte, „das ist für mich jetzt vorbei“. Schwalb ist 25. Zur Silbermedaille von Los Angeles war er zarte 20, danach hat er mit all den anderen, die da gerade feuchten Auges durch die Straßburger Hotel-Lobby geistern, alles verloren, was es an wichtigen Turnieren zu verlieren gab: die B-WM 1987 in Brixen etwa, wo ein '82 durch das 16:16 gegen die Schweiz aus der Handballererstklassigkeit geplumpstes Psycho-Team durch ein weiteres 16:16 in aller Zweitklassigkeit sitzen blieb. Diesmal allerdings gegen die CSSR.

Ein drittes 16:16 kostete nun in Straßburg nicht bloß die heftig hergewünschte Erstklassigkeit, sondern den DHB auch einfach Geld. Neue Sponsoren sind mit B- oder ab Sonntag nach dem Spiel gegen Dänemark (nach Redaktionsschluß) gar C -klassigen Handballern bestimmt bloß schleppend zu gewinnen und, so DHB-Schatzmeister Rudi Glock: „Die Probleme mit den Zuschüssen des Bundesministeriums des Inneren werden nach dieser Qualifikation sicherlich auch nicht abnehmen.“ Daß Deutschland oder die Dänen demnächst bloß noch drittklassige Handbälle auf WM-Turnieren jonglieren, ist im wesentlichen dem Einfall greiser IHF-Funktionäre zu verdanken, die relativ ausgeglichene Handball-Elite auf drei Leistungsklassen zu verteilen, was B- und C-Turniere angeblich attraktiver gestalten soll und bestimmt zu prima Dienstreisen verhilft.

Der schönste Handballpo

Donnerstag abend also purzelten nach dem neuen Verteilungssystem und einem 16:16 der präzise wie ein Schweizer Uhrwerk gegen die stur herumstehenden Rumänen deckenden Handballhandwerker aus dem Land von Käs‘ und Kuhglocke die immer als brillant gehandelten Individualisten des DHB vom letzten Qualifizierungsplatz für die A-WM 1990 in Prag und verdarben sich damit gleich auch noch die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Barcelona. Stefan Scherer, der Schweizer Außen, dem neben Alfred Gislason (demnächst beim Ivanescu-Club Niederwürzbach) der hübscheste Handballpo der Turniergruppen C und D zugesprochen werden kann, sprach anschließend freundlich aufgeklärt: „Wenn wir spielen, brennt ein inneres Feuer. Damit sind wir als Mannschaft erfolgreicher als die eigentlich besseren Einzelspieler aus der deutschen Bundesliga.“

Arno Ehret, definitiv der Lieblingstrainer der ihn zur Jubel-Pressekonferenz vom Donnerstag über ein Glas Elsässer Champagner giggelnd anhimmelnden WM-Hostessen (Handballteenies im Trainingsanzug), Arno Ehret soll nach einer Interimsphase jetzt plötzlich Bundestrainer werden, auch wenn viele meinen, daß der seine biedere Mannschaft stets an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zaubernde Sportsmanncharmeur mit der hochgejubelten Truppe um Ivanescu ebensowenig Erfolg gehabt hätte.

Lob für Ivanescu

Arno Ehret aber mag noch nicht Bundestrainer sein: „Das wäre eine Frechheit gegenüber meiner Mannschaft, die mir hier schließlich sehr geholfen hat, als Trainer ins Rampenlicht zu kommen. Außerdem steht mit Ivanescu ein Bundestrainer in Frage, der eine große Mannschaft formen kann. Man sollte eher bei der Mannschaft ansetzen.“

Bei diesen netten Herren um die 25 also, die wie Schwalb herkamen „mit dem Gefühl, hier eine Formalität zu erledigen“, und nun auf der Handballnase liegen - zu alt für die drei Jahre Vorbereitungszeit auf die 92er B-WM in Portugal, zu jung für den glanzlosen Abgang.

Und während die Fernsehscheinwerfer zur Pressekonferenz im Hotel-Foyer auf die großen Verlierer des Abends leuchten, sitzt Jochen Fraatz von Journalisten umringt. Einer der populärsten deutschen Handballer ist schlicht am Ende. Und zwei französische Hotelgäste stubsen mich angeheitert und scheinwerferaufgeregt in die Seite: „Pardon, ist das Boris Becker?“